Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
Vom Netzwerk:
Zu grausam wäre
eine Enttäuschung. Allein, es ist ein Fünkchen Hoffnung.
    „Blanche“, haucht sie. „Ich
habe eine Ahnung, wo sie sein könnten.“ Beinahe sofort hat sie deren
schmerzhafte Aufmerksamkeit, da ihr Blanche verzweifelt Halt suchend die Finger
in den Arm krallt. Nie hätte sie geglaubt, dass in diesen zierlichen Händen
eine solche Kraft stecken könnte. Es kostet sie einige Anstrengung, sich von
diesen zu befreien, sie ihr besänftigend in den Schoß zu legen. „Ich schlage
vor, du nimmst in der Zwischenzeit ein Bad, um dir den verdammten Dreck von Leib
und Seele zu waschen.“
    Blanche jedoch schüttelt
unbeirrt den Kopf. „Wo sind sie? Ich komme mit dir!“
    Joan bemerkt, dass sie gegen
diesen Willen nicht ankommt. Mit einem ergebenen Seufzer zuckt sie die
Schultern. „Dann komm.“
    Sie eilen los. Im Hof begegnen
sie einigen Männern, welche schweigend die Leichen häufen. Kurze Zeit später
laufen sie Raymond im Felsentor in die Arme. Der hat nur Augen für Blanche. Mit
bekümmerter Miene berührt er ihr geschundenes Gesicht, küsst ihr wortlos die
Stirn und hängt ihr seinen Mantel fürsorglich um die Schultern. Lächelnd setzt
sich Joan wieder in Bewegung. Wenigstens in dieser Angelegenheit durfte sie
Recht behalten. Nicht einen Moment hatte sie diesbezüglich an ihrem Vater
gezweifelt und hofft inständig, auch in der nächsten Sache nicht zu irren.
    Hinterm Felsentor biegt sie
scharf nach rechts. Langsamen Schrittes, doch mit wachsender Ungeduld bewegt
sie sich wachsam auf dem schmalen Pfad weiter. Mit leisem Frohlocken bemerkt
sie die kleinen Fußspuren vor sich im Schnee. Als sie den Ausgang des Baues
endlich erreicht hat, hockt sie sich davor und lauscht angestrengt. „Isa? Bist
du da drinnen? ... Du musst keine Angst mehr haben. Ich bin es, Joan.“
    Ein klägliches Wimmern dringt
dumpf an ihr Ohr und lässt Joan einen riesigen Stein vom Herzen fallen. Eine
Hand legt sich ihr so unvermittelt auf die Schulter, dass sie erschreckt
herumfährt. Raymond blickt fragend zu ihr herab. Ihr Mund verzieht sich zu
einem entwarnenden Grinsen.
    Ihr Vater atmet daraufhin
erleichtert auf. Eilig wendet er sich um und winkt Blanche freudig zu, die in
einiger Entfernung erwartungsvoll am Beginn des schmalen Pfades verharrt.
    Joan versucht indes, sich
durchs Loch in den Bau zu zwängen. Ob der überraschenden Enge wird sie stutzig.
Wie sie sich auch biegt und windet, sie passt einfach nicht hindurch.
Schmerzhaft drückt ihr das kantige Gestein in den Leib, so dass sie es
schließlich verzagt aufgibt. Dass sie immens zugelegt zu haben scheint, ist
nunmehr unleugbar. Unwirsch kriecht sie zurück ans Tageslicht, die Wut auf sich
selbst nur leidlich in der Gewalt. Leise fluchend kommt sie auf die Beine,
stößt rücklings mit Raymond zusammen. „Vater, Blanche muss es tun. Ich passe
nicht mehr durch“, erklärt sie mit verhohlenem Verdruss, um sich gleich darauf
gegen die Stirn zu schlagen. „Wie soll SIE mit ihrem schwangeren Leib
hindurchpassen! Aber vielleicht vermag sie Isa dazu bewegen, herauszukommen?“
    Raymond jedoch schüttelt
entschieden den Kopf. „Sie schafft es nicht bis hierher, Joan. Sie ist nicht
schwindelfrei.“
    Joan rauft sich die Haare. Sie
blicken sich ratlos an. Raymond drängt sie daraufhin etwas zur Seite und steckt
nun seinerseits den Kopf in die gähnende Schwärze des Einganges. „Isa, komm
heraus! Deine Mutter will dich in die Arme schließen. Sie ist ganz krank vor
Angst um euch und weint schrecklich.“
    Er zieht sich neben Joan zurück
und sie warten gespannt ab. Als sie dumpfe, scharrende Geräusche vernehmen,
tauschen sie erfreute Blicke. „Warte“, raunt Joan, klaubt etwas Schnee zusammen
und reibt ihrem Vater damit das blutverkrustete Gesicht ab. Er nickt
verständnisvoll und lässt ihr die gleiche Behandlung angedeihen. Schließlich
wollen sie die Kinder nicht unnötig verschrecken.
    Endlich tauchen ein Paar
Kinderschuhe vor ihnen auf. Behutsam ziehen sie Isa daran hervor, welche Joan
sogleich schniefend um den Hals fällt. Beunruhigt bemerkt Joan, wie eisig kalt
Gesicht und Hände des Kindes sind. Die Kleine bebt am ganzen Körper, klappert
mit den Zähnen. Mit flauem Gefühl wird ihr bewusst, dass Isas Angst ungeheuerlich
gewesen sein muss, um Zuflucht im grabesähnlichen Inneren des Felsens gesucht
zu haben. Ihre Furcht vor Kälte und Finsternis schien dabei gegen das blanke
Entsetzen, welches ihrer hier draußen harrte, kaum ins Gewicht gefallen zu
sein.

Weitere Kostenlose Bücher