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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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erhellt sich ihre angespannte Miene.
    Schwerfällig kommt Joan auf
ihre eingeschlafenen Füße, legt Blanche beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Keine Sorge. Es hat einen kräftigen Herzschlag. Vielleicht schlafen ja auch
Ungeborene dann und wann, so dass du seine Bewegungen nicht mehr spürst.“
    „Bist du sicher“, fragt Blanche
hoffnungsvoll.
    Joan nickt. „Absolut. Und nun
komm weg von hier. Ins Warme. Sicher kann es Raymond kaum erwarten, dich
tröstend in die Arme zu nehmen.“
    Ihre Worte lösen ein sichtbares
Entsetzen bei Blanche aus. „Ich bin noch nicht so weit“, stammelt diese hastig.
    Joan betrachtet sie
argwöhnisch. „Er kann doch nichts dafür, Blanche.“
    Diese wird nun vollends zum
Bild des Jammers, scheint völlig einzuknicken. Niedergeschlagen lässt sie sich
mit dem Rücken gegen die Brüstung fallen. Bevor sie an dieser herabgleiten
kann, hat Joan sie bereits aufgefangen. „Mein Gott, was fürchtest du von ihm?“
Beinahe ruppig stellt sie sie wieder auf die Füße.
    Blanche stützt sich mit
gesenktem Kopf auf der Brustwehr ab. „Dass er es nicht versteht. ... Und mich
nicht mehr will“, gesteht sie leise, was Joan ein empörtes Jappsen entlockt.
    „Kennst du ihn so schlecht“,
braust sie auf. „Das würde er dir nie antun.“ Sie besinnt sich bei Blanches
elendem Anblick. „Versprich, dass du ihn nicht damit verschonen wirst. Nimm der
Begebenheit den Schrecken. Sonst steht sie wie eine unüberwindliche Mauer immer
zwischen euch.“
    „Wie kann ich der Sache den
Schrecken nehmen, wenn sie mich noch immer bis ins Mark erschüttert, sobald ich
auch nur eine Erinnerung daran zulasse“, klagt sie.
    „Das vergeht“, erwidert Joan
warmherzig, ergreift ihre schlaffen Hände und drückt diese ermutigend.
    Blanche scheint unschlüssig.
„Hattest du es Malcom ebenfalls erzählt“, fragt sie zaghaft.
    Joan atmet durch und wendet sich
von ihr ab, lässt den Blick versonnen in die Ferne schweifen. „Er musste es
tatenlos mit ansehen.“ Sie hört, wie Blanche die Luft scharf einzieht, was sie
gequält lächeln lässt. Ihr Schicksal sollte Blanche zu etwas Trost gereichen.
    „Mein Gott, was ist bloß los
mit dieser Welt?“
    Joan schnieft. „Nichts.
Vermutlich ist sie so, seit es Menschen gibt. Nur hattest du bisher das Glück,
die angenehmeren ihrer Seiten erleben zu dürfen.“ Erstaunt bemerkt sie die
Verbitterung, welche aus ihren Worten spricht. Bisher fehlte diese in ihrem
Sammelsurium von Gemütsverfassungen. Und dabei will sie es auch bewenden
lassen. Aufatmend dreht sie sich zu Blanche herum. Sie findet sie nachdenklich.
„Komm, lass uns in Erfahrung bringen, ob man endlich Isa und Gabriel gefunden hat“,
schlägt sie aufmunternd vor, bereut es jedoch sogleich zutiefst, als sie
Blanches Bestürzung gewahrt. Offenbar hatte man sie noch nicht darüber in
Kenntnis gesetzt, dass von ihren Kindern bisher jede Spur fehlt. Fieberhaft
sucht sie nach den richtigen Worten.
    In Blanche ist plötzlich
Bewegung gekommen. Rastlos geht sie in willkürlich wechselnden Richtungen auf
und ab, während sie sich die Haare rauft.
    „Ich habe sie allein gelassen.
Ich war nur mit mir beschäftigt“, ruft sie hysterisch, bleibt vor Joan stehen
und rüttelt sie an den Schultern. „Was ist mit ihnen“, ruft sie außer sich.
    Joan ergreift ihre Unterarme,
versucht, sie still zu halten. „Beruhige dich. Wir wissen nur nicht, wo sie
stecken. Das soll noch nichts heißen.“ Mühevoll hält sie Blanche davon ab,
kraftlos auf die Knie zu sacken, hakt sie einfach unter.
    „Oh Gott, nein! Alles, nur das
nicht“, murmelt diese tonlos.
    „Wir werden sie finden“,
beschwört Joan sie mit einer Zuversichtlichkeit, welche sie selbst verwundert.
„Vielleicht haben sie sich versteckt und trauen sich nicht heraus“, mutmaßt sie
krampfhaft weiter und kann Blanche nicht länger halten. Wie ein Kind
hemmungslos schluchzend sinkt diese auf alle Viere herab und beginnt, mit ihrer
Stirn und ihren geballten Fäusten immer wieder gegen den hölzernen Boden zu
schlagen. „Ich kann nicht mehr.“
    Es zerreißt Joan fast das Herz.
Doch sie findet keine tröstenden Worte mehr. Ratlos lässt sie sich neben
Blanche sinken, nimmt ihren Kopf in den Schoß, damit sie sich nicht die Stirn
aufschlägt. Sie versucht, einen klaren Gedanken zu fassen. Dabei dämmert es ihr
ahnungsvoll. Je länger sie darüber nachsinnt, desto schlüssiger wird sie. Doch
ist sie unsicher, ob sie ihren Gedanken laut aussprechen soll.

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