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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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den zweiten Stock zu gehen. Es herrscht eine unheimliche Stille. Sie
gelangen in die Vorhalle des großen Saales und verharren kurz bei einem
schnarchenden Fremden, der es sich auf dem harten Steinboden bequem gemacht
hat. Malcom rammt ihm ohne Zögern das Schwert in die linke Brust. Der Mann
stirbt im Schlaf.
    Als sie kurz darauf die Halle
betreten, blicken sie sich erstaunt um. Sie finden sich unter etwa anderthalb
Dutzend Männern wieder, welche kreuz und quer durcheinander liegen und tief zu
schlafen scheinen. Joan wird stutzig, als sie das erste bläulich verfärbte
Gesicht bemerkt. Daraufhin entdeckt sie weitere.
    „Sie wurden vergiftet“, ruft
sie und erntet verwirrte Blicke. „Schlafkraut“, erklärt sie knapp.
    „Bist du sicher“, fragt Malcom
verblüfft. Neben ihm beginnt plötzlich einer der Männer, laut aufzustöhnen und
sich dabei unruhig hin und her zu werfen. Amál macht ihn mit einem Schwerthieb
ruhig.
    „Ja, ganz sicher“, erwidert
Joan. „Bilsenkraut, auch Tollkraut genannt. Sie haben zuviel davon bekommen.
Der Tod hat sie bereits in der Gewalt.“
    Die angespannte Haltung der
Männer löst sich mit einem Male.
    „Ian, Shepherd, fesselt sie und
werft sie in den Kerker“, weist Malcom an. „Wir sehen nach, was sie mit unseren
Leuten angestellt haben. Verteilt euch.“ Er bedenkt Joan mit einem angespannten
Blick. Durchatmend weist er mit dem Kopf zurück zum Hallenausgang. „Komm,
folgen wir Raban und Kenneth in den zweiten Stock.“
    Joan schluckt trocken und
nickt. Eine lähmende Furcht hat sich ihrer plötzlich ermächtigt. Mit
schlotternden Knien folgt sie Malcom in den Treppenturm. Amál kommt
eigentümlich fahl im Gesicht neben sie. Scheinbar endlos lange steigen sie die
Stufen zu ihren Gemächern empor.
    „Wenn sie Miriam nur ein Haar
krümmten“, setzt Amál an, bevor ihm die Stimme versagt.
    Joan atmet hörbar durch.
Endlich gelangen sie in den zweiten Stock. Sie sammelt sich, während sie mit
Malcom vor ihrer nur angelehnten Tür verharrt und hofft, dass der nächste
Augenblick ihr weiteres Leben nicht zu einem einzigen, ungeheuerlichen Schmerz
werden lässt. Malcom überwindet sich und reißt die Tür auf. Doch niemand ist
anwesend, was die quälende Ungewissheit andauern lässt. Sie eilen in Malcoms
Gemach, um auch dieses verlassen vorzufinden.
    „Was, wenn sie ihn einfach
mitgenommen haben“, flüstert Joan.
    Malcom jedoch schüttelt den
Kopf. „Es kam niemand weiter von ihnen heraus. ... Er muss hier irgendwo sein.
Vielleicht im Kerker ...“
    Sie verlassen sein Gemach und
prallen mit Raban zusammen.
    „Wo in Gottes Namen sind alle“,
fragt Malcom auffahrend.
    Raban stemmt die Hände in die
Seiten. „Isa kommt nicht unter dem Bett ihrer Mutter hervor. Die anderen holten
wir soeben vom hölzernen Wehrgang herunter. Sie hielten sich dort versteckt.“
    Joan drängt sich an Malcom
vorbei und starrt ihn an. „Robert?“
    Raban grinst. „In Agnes Armen
wohlbehütet auf dem Weg hierher.“
    Sie wechseln erleichterte
Blicke.
    „Keine Toten oder Geschändeten“,
fragt Malcom ungläubig, worauf Raban den Kopf schüttelt.
    „Nicht hier oben. ... Amál
berichtete, unten schlafen alle?“
    Malcom nickt zerstreut. „Was
zur Hölle ging hier vor sich?!“
    Sie schweigen nachdenklich.
Plötzlich fällt es Joan wie Schuppen von den Augen, was sie die Luft scharf
einziehen lässt. Damit hat sie Malcoms ganze Aufmerksamkeit.
    Misstrauisch beäugt er sie.
„Was ist hier los?“
    Joan starrt ihn fassungslos mit
offenstehendem Mund an. „Das wäre ungeheuerlich“, haucht sie. Als er sie ungeduldig
mit aufgebracht in die Seiten gestemmten Händen betrachtet, löst sie sich aus
ihrer Starre.
    „Komm.“
    Hastig läuft sie auf Blanches
Gemach zu und drückt die nur angelehnte Tür auf. Malcom folgt ihr seufzend,
Raban im Schlepptau. Als er die Kemenate betritt, erblickt er Joan auf allen
Vieren neben dem Bett. Ihr Kopf ist darunter verschwunden. Sie redet
seelenruhig auf Isa ein, deren Wimmern zu vernehmen ist.
    „Isa, komm hervor. Du musst sie
nicht mehr fürchten. Alles ist gut.“
    Eine kleine Hand streckt sich
ihr zitternd entgegen. Joan ergreift sie behutsam. Sachte zieht sie Isa daran
unter dem Bett hervor, drückt sie an sich und nimmt mit ihr besorgter Miene auf
der Bettkante Platz. Das Kind ist völlig in Tränen aufgelöst, das Gesicht
verquollen. Auch auf Joans gutes Zureden reagiert Isa nicht und atmet mit
geschlossenen Augen stoßweise vor Schluchzen. Dabei bebt

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