Die rote Farbe des Schnees
alles beim Alten lassen sollen. Stattdessen leidest nun auch du.“
Sie seufzt. „Die Wahrheit ist
oft unbequem. Und vielleicht ist geteiltes Leid wirklich halbes Leid.“
Sie lächeln sich an, um dann
ihren Weg unter der ersterbenden Kraft der flach stehenden Nachmittagssonne
fortzusetzen. Beklommen denkt Joan bei sich, dass ihre Vergangenheit sie wieder
einmal eingeholt hat. Doch hofft sie inständig, sie dieses Mal ohne solch harte
Bewährungsproben, ohne sich mit Malcom beinahe hoffnungslos aufzureiben,
bewältigen zu können. ... Tief in ihrem Innersten kommen ihr jedoch angstvolle
Zweifel.
Und wieder
Zweifel
„Joan!“
Malcom an der dicht besetzten Tafel winkt ihr zu. Sie kommt um ihn herum, um
neben ihm Platz zu nehmen. Ihnen gegenüber sitzen John und Ulman und sie weiß,
dass sich das Thema ihres Gespräches wie so oft in letzter Zeit um die
Gerichtsverhandlung dreht. Nach ihrem Sturz in den See hatte sie ein warmes Bad
genommen, worauf sie sich nun wie neu geboren fühlt.
„Mein Angebot steht, Ulman“,
bemerkt Malcom, bevor er einen tiefen Zug aus seinem beinahe leeren Krug mit
Fastenbier nimmt.
Ulman macht einen
nachdenklichen Eindruck. „Ich weiß dein Angebot zu schätzen. Doch ich kann es
nicht annehmen.“
Joan zieht verwundert die
Augenbrauen hoch, wobei sie sich ein Stück von einem saftigen Früchtebrot
nimmt.
Malcom nickt bedächtig. „Stelle
dich deinen Dämonen, Ulman. Eine bessere Gelegenheit wird sich dir nicht
bieten, um mit der Vergangenheit aufzuräumen.“
„Das kannst du unmöglich
verstehen, Malcom“, tut dieser jedoch mit einem Kopfschütteln ab. „Wenn es in
der Tat dazu kommt, dass du ein anderes Lehen erhältst, werde ich es ernsthaft
abwägen.“
Malcom grinst befriedigt. „Mehr
wollte ich nicht hören.“ Er winkt einem Pagen und lässt sich nachschenken.
„Wenn du dich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hast, wirst du schon
einwilligen. Oder willst du wirklich, dass die Burg unserer Väter verfällt,
vielleicht gar in andere Hände gegeben wird? Henry würde dir nie ein Haar
krümmen. Und du wärst gewiss ein guter Lehnsmann.“
Joan würgt einen großen Bissen
hörbar hinunter und betrachtet Malcom aufgerüttelt.
Er bemerkt es, woraufhin er
sich ihr nun ganz widmet. „Ich konnte es noch nicht mit dir besprechen. Was
hältst du davon?“
Sie stellt den Mund abwägend schräg.
„Wir kehren wirklich nicht wieder zurück?“
„Nein. Vorerst nicht. Ich traue
Henry nicht mehr über den Weg.“
Sie nickt einsichtig. Auf seine
erwartungsvolle Miene zuckt sie die Schultern. „Wieso nicht. Ich fände es
passend, Ulman damit zu betrauen. Vorausgesetzt, er ist einverstanden.“
Die Tafel leert sich
allmählich. Auch Malcoms Männer und Ulman erheben sich.
Umständlich greift Joan zu
ihrem Krug Ale und hebt ihn vorsichtig an ihren Mund. Seit ihre Hände wieder
warm sind, schmerzen sie äußerst unangenehm. Sie wird sie nachher in ihrem
Gemach behandeln.
Sie stellt den Krug wieder ab
und zieht die Luft scharf ein, als Malcom eine ihrer Hände ruppig ergreift und
deren Innenseite schmerzhaft nach oben dreht, um sie schweigend zu betrachten.
Sie weiß nicht, wie ihr geschieht. „Ich habe mir die Hände aufgeschnitten, als
ich versuchte, Ulman am Schwert aus dem Wasser zu ziehen“, erklärt sie
unsicher. Sein Blick weicht forschend auf ihr Gesicht ab.
„Du vergaßt, ihm später deine
Blutspuren vom Gesicht zu waschen!“ Als ihr die Schamesröte in die Wangen
schießt, schüttelt er unter verächtlichem Schnauben fassungslos den Kopf.
Ungehalten lässt er sie los und bedenkt sie mit vernichtenden Blicken. „Sein
Mund war besonders rot gefärbt“, faucht er wütend, wobei er sich demonstrativ
erhebt. Er betrachtet sie noch einen Moment aufgelöst, um sich dann von ihr
abzuwenden und die Halle schnellen Schrittes zu verlassen. Heda spurtet unter
der Tafel hervor, läuft einem Pagen vor die Beine, dass dieser mit vollem
Tablett ins Wanken gerät, und setzt ihrem Herrn nach.
Joan sieht
ihm bestürzt hinterher.
Der
Mitternachtsmesse folgte Joan kaum. Nicht, weil diese ohnehin größtenteils in
unverständlichem Latein verfasst war. Vielmehr lenkte sie Malcoms Nichtachtung
ab. Auch jetzt auf dem Heimritt antwortet er nicht auf ihre Bemerkungen,
wodurch sie sich in seiner Gesellschaft allmählich wie Luft vorkommt. Im Hof
hilft er ihr nicht von Brix herunter, so dass sie sich in ihrem umständlichen
Kleid selbst bemühen muss. Er verschwindet im Eingang des
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