Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
Vom Netzwerk:
Augen
klagend anblickten. Dann diese unheimliche Ruhe. Sie hatten in ihrer Not alles
Vieh, ja selbst die Hunde aufgezehrt. Ihnen fehlte gar die Kraft, Gräber für
ihre Toten auszuheben. Auf dem Friedhof lagen die wie achtlos hingeworfenen
Leichen umher und verströmten den Dunst von Verwesung. ... Und dann Dorrit. Sie
hatte ihre Amme nicht wiedererkannt. In ihrer Erinnerung war sie immer rundlich
und drall gewesen. So ganz anders, als diese klapperdürre, verhärmte Frau. Vom
Kummer über den Tod zweier ihrer Ziehkinder gezeichnet wirkte sie um viele
Jahre gealtert. Ihre Zuversicht jedoch war ungebrochen. Im Gegenteil. Durch
Joans Erscheinen wurde sie noch angestachelt. Joan gab ihr Brot und Speck, was sie
auf Jacobs Anraten glücklicherweise noch eingesteckt hatte, und sah betrübt
dabei zu, wie sich Dorrits Kinder hungrig darauf stürzten, sich wie wilde Köter
knurrend um jeden Bissen balgten.
    Als sie wieder aus dem
ärmlichen Haus trat, welches ihr einst Unterschlupf bot, musste sie ihren
Schimmel gegen einige wildgewordene Hungergestalten verteidigen, die ihn gerade
mit Furken zu töten gedachten. Wie froh sie war, als Jacob und Raymond in
weiser Vorraussicht erschienen und ihr hilfreich beisprangen. Niemand von ihnen
sprach auf dem Rückweg ein Wort. Raymond ließ umgehend seine toten Bauern
begraben und die Kornspeicher öffnen. Überdies gestattete er seinen Bauern für
die nächste Zeit das Erlegen von Wild.
    Sie seufzt und erhebt sich
schwerfällig. Jacob hatte trotz allem auf seine Fechtlektion bestanden und
Joan, ja gar sich selbst gehörig überrascht. Es gereichte auch ihr zur Lektion,
denn niemals mehr wird sie sich dazu verleiten lassen, einen Anfänger zu
unterschätzen. Ihm scheint der Umgang mit Waffen ebenso im Blut zu liegen, wie
ihr. Seine hochgewachsene, durch das reichhaltige Essen wieder schnell zu
Kräften gekommene Gestalt ist wie für den Angriff geschaffen. Er begriff
schnell, hatte sie gewaltig ins Schwitzen gebracht, ihr anfangs zu ihrer
Verblüffung gar einige blaue Flecken zugefügt, welche sie jetzt überdeutlich
spürt.
    So will sie sich nun endlich
den klebrigen Schweiß vom Körper waschen. Der große Wasserkrug auf dem Schemel
ist jedoch leer. Behände schlüpft sie in ihre Beinlinge und wirft sich ihren
Mantel über. Mit einem prüfenden Blick auf Robert überzeugt sie sich von dessen
festem Schlaf. Verstohlen schleicht sie aus ihrem Gemach bis zum Ziehbrunnen
auf dem Hof. Sie will möglichst unbemerkt bleiben. In der Halle wird noch
stimmungsvoll gezecht. Das Gegröle der Männer schallt über den durch nur eine
Fackel spärlich beleuchteten Hof. Geschwind zieht sie einen vollen Eimer Wasser
aus dem tiefen Schacht herauf und stellt ihn auf dem Brunnenrand ab. Sie legt
ihren Mantel daneben ab und taucht die Hände fröstelnd ins kalte Nass.
Erschaudernd spritzt sie ihren bloßen Oberkörper nass, wäscht sich Schweiß und
Staub von der Haut. Als sie es für genug befindet, streicht sie sich mit den
flachen Händen das Wasser ab, um sich dann erfrischt wieder den kratzigen
Wollmantel überzuwerfen. Den Eimer stößt sie zurück in den Brunnen und atmet
befreit auf. Sie zieht den Mantel in der Kühle enger um sich, da sie den
Geräuschen der friedlichen Nacht noch ein wenig lauschen möchte. Plötzlich
vernimmt sie aus dem Augenwinkel heraus eine langsame Bewegung und sieht zur
Seite. Eine große Gestalt lehnt ihr schräg gegenüber gelassen an der
Scheunenwand und blickt zu ihr herüber. Auch wenn er sich fast völlig im Dunkel
befindet, erkennt sie sofort, dass es Malcom ist. Unvermittelt fühlt sie sich
an ihren guten Vorsatz erinnert und atmet durch. Der Augenblick scheint
günstig. Malcom ist sonst schwerlich allein anzutreffen. Beherzt schreitet sie
auf ihn zu. Schließlich verhält sie knapp vor ihm ihre Schritte. Ihre Augen
gewöhnen sich allmählich an die Dunkelheit. Malcom drückt sich etwas von der
Wand ab und legt ihr schwankend eine Hand gegen die Wange. Ihr schlägt seine
von Ale geschwängerte Fahne entgegen.
    „Du bist betrunken“, stellt sie
enttäuscht fest. In diesem Zustand ist wohl schwer mit ihm Reden.
    „Ja“, erwidert er
herausfordernd. „Das bin ich wohl. ... Sonst würde ich dich kaum anfassen.“
    Es versetzt ihr einen
schmerzhaften Stich ins Herz. Sie will sich eilig von ihm abwenden, als sie
sein gequältes Lachen wie angewurzelt stehen bleiben lässt.
    „Ich muss mich total besaufen,
um meine Frau anrühren zu können“, raunt er, schlingt

Weitere Kostenlose Bücher