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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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Wir können ungestört reden.“
    Sie sitzen
auf borstigen Wildschweinfellen auf dem ebenen Felsplateau vorm dunklen
Höhleneingang. Ab und zu tropft Wasser vom steinernen Überhang vor ihnen herab
und arbeitet an der uralten Rinne im hellen Gestein. Der kleine, silberne
Bachlauf unter ihnen windet sich murmelnd durch den Wald. Joan atmet befreit
auf. „Ich vergaß, wie friedlich es hier ist.“
    Gwen nickt und mustert das
Schwert an Joans Seite, äußert sich jedoch nicht dazu. „Du hast dich verändert,
hast ein Stück zu dir gefunden. Zwar war dein Geist schon immer sehr reif, doch
dein Bewusstsein hat sich erweitert. ... Wodurch erreichtest du es? Durch
Meditation?“
    Joan ist überrascht. Ihr war
bisher nicht klar gewesen, dass Gwen die Farben sehen kann. Allem Anschein nach
hatte sie diese Gabe absichtlich vor ihr verborgen gehalten. Sie schüttelt den
Kopf. „Ich war schwer krank, dem Tode nahe. Eine Heilerin konnte mich retten,
auch wenn sie dabei mit ihrem fleischlichen Körper nicht anwesend war. Sie gab
mir von ihrer Kraft und von ihren Fähigkeiten. Durch sie sehe ich alles farbig,
wenn ich es zulasse.“
    Gwen lächelt nachsichtig.
„Nicht durch SIE, Joan. Sie war nur der Mittler. Auch wenn sie dir etwas von
ihrer Kraft gab und dir somit das Leben rettete, ging nichts von ihren
Fähigkeiten auf dich über. Das kam aus dir selbst.“ Sie wiegt den Kopf. „Sicher
war sie sehr erfahren. Denn mit dem Geist über eine größere Entfernung zu heilen,
ist schon höhere Magie, für die man ein wenig üben muss, wenn einem diese Gabe
nicht bereits in die Wiege gelegt wurde. Doch letztlich war es die Kraft
Gottes, die dich heilte, dich gleichsam in deiner Natur verwandelte, was dir zu
einer erweiterten Wahrnehmung gereichte. Denn Gottes Geist wohnt in allem. In
dir selbst, jeder Heilerin, jedem Heilmittel, jeder Heilung.“
    „Das verstehe ich nicht“,
wendet Joan ein, obwohl sie im Begriff ist, ein vages Gefühl für Gwens Worte zu
entwickeln.
    Gwen runzelt die Stirn. „Oh, du
verstehst es. Doch nicht mit dem Kopf. Lerne, dem Verstand deines Herzens und
deines Bauches zu folgen.“ Ein Lächeln erhellt ihr Gesicht, als sie Joans
Stutzen bemerkt. Auf deren grüblerische Miene hin verzieht Gwen übertrieben
spöttisch das Gesicht.
    „Warum hat es mich verändert“,
beharrt Joan.
    „Hast du alles vergessen, was
ich dich lehrte? ... Wenn der Körper krank ist, erblüht der Geist. Und dem Tode
nahe zu sein, ist eine sehr starke, prägsame Erfahrung für diesen himmlischen
Bestandteil deines Körpers.“ Sie bedenkt Joans aufgerissene Augen mit ihrem so
überaus bezeichnenden, unbeschwert lebensfrohen Lachen.
    Joan entsinnt sich, bei der
Erklärung ihrer Fähigkeiten bereits ähnliche Gedanken gehegt zu haben. „Bitte
erkläre es mir genauer“, fordert sie unbeirrt.
    „Es erklärt doch alles“, ruft
Gwen vergnügt. „Das, was himmlisch ist, überwindet das minderwertige Irdische
und veredelt es. ... Mit jeder Heilung, die ein kranker Körper durchmacht. Denn
Gott ist in jeder Heilung. Und um eine solche zuzulassen, muss der Geist, der
im Körper wohnt, für die Heilung bereit sein. Sonst kann Gott ihn nicht von
seiner Krankheit befreien. ... Auch dein Geist war bereit dafür, wurde von der
himmlischen Kraft erhellt.“
    Joan schweigt in Gedanken.
    „Bist du deswegen gekommen“,
fragt Gwen und lässt ihr wieder ihr warmherziges Lächeln zuteil werden.
    „Ja. Auch deswegen. ... Doch
insbesondere, um für eine gewisse Zeit Zuflucht zu finden. Ich muss über Vieles
nachdenken.“
    „Ihr seid willkommen. Wir haben
genügend Schlaffelle und du beteiligst dich wie früher an den Arbeiten.“
    Joan nickt. Robert kommt auf
ihren Schoß, um sich müde an sie zu schmiegen.
    „Ihr seid sicher matt vom
weiten Weg. Legt euch schlafen.“
    Joan
entleert ihre Umhängetasche, wobei sie alles Essbare vor Gwen ausbreitet. Dann
nimmt sie Robert hoch in die Arme und erhebt sich, um sich mit ihm in der Höhle
auf einem uralten, weichen Bärenfell schlafen zu legen. Heda trottet ihnen
hinterher.
    Sie erwacht
von gedämpften Stimmen und erhebt sich vorsichtig, um Robert nicht zu wecken.
Fürsorglich bedeckt sie ihn wieder mit dem Schlaffell. Es ist bereits dunkel
und er soll ungestört bis morgen früh durchschlafen können.
    Dann kommt sie zum Feuer auf
dem Felsvorsprung vor der Höhle. Fünf Gestalten hocken darum und blicken zu ihr
auf, nicken ihr grüßend zu. Heda hat sich ganz in ihrer Nähe
zusammengekringelt.

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