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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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sich um, führt jeden Handgriff mit
Nachdruck aus, um nicht einen Moment länger über das in der Scheune Geschehene
nachdenken zu müssen. Behutsam kleidet sie Robert an und nimmt ihn ins Tuch,
ohne ihn zu wecken. Selbst im Schlaf hält er das kleine Holzpferdchen, welches
ihm sein Vater einst in glücklicheren Tagen geschnitzt hatte und das tagsüber
sein treuester Begleiter ist, fest umklammert. Es erinnert sie unwillkürlich an
Malcom. Beinahe droht sie der Schmerz zu überwältigen. Doch vermag sie den
Gedanken an ihn unversehens beiseite zu schieben. Darin hat sie Übung. Sachte
entwendet sie ihrem Kind das Lieblingsspielzeug, um es auf der Truhe
abzustellen. Weniger aus Furcht, er könne es verlieren als aus Angst, ständig
an seinen Vater erinnert zu werden. Roberts Nähe wirkt tröstend. Wie bedauert
sie es, Leander zurücklassen zu müssen. Doch würde er im Wald verhungern, da
sie ihn ja nicht mehr stillen kann. Sie schlüpft in ihren Mantel und verlässt
das Gemach. In der Küche stopft sie sich ihre Umhängetasche mit Brot und
Bratenresten voll. Sie muss den Wald noch vor Morgengrauen erreichen, um nicht
Gefahr zu laufen, auf umherstreunende Hungergestalten zu stoßen. Heda ist
plötzlich an ihrer Seite und schnuppert an ihrer prallen Tasche. Joan streicht
ihr über den Kopf. „Du kommst mit.“
    Als sie an der hochgezogenen
Zugbrücke angelangen, ist die Wache bei ihrem Anblick plötzlich hellwach. „Lady
Joan. Was habt Ihr vor“, fragt man sie beunruhigt.
    „Kräuter sammeln“, antwortet
sie mit stoischer Gelassenheit, als wenn es nichts Selbstverständlicheres gäbe.
„Lasst die Brücke herunter. Aber bitte sachte, sonst weckt ihr noch die ganze
Burg.“
    Man wagt nicht, sich ihrer
Anweisung zu widersetzen und tut, wie geheißen. Sie verlässt Malcom, ohne sich
noch einmal umzuwenden.

Zuflucht bei
Gwen
    Der Wald
ist dicht und dunkel geworden, beinahe undurchdringlich, wenn man die
versteckten Pfade, die sich durch ihn hindurchschlängeln nicht kennt. Doch Joan
kennt sie zur Genüge.
    Eine Amsel hüpft arglos auf dem
durch Wildschweine aufgewühlten Waldboden umher, von dem sie dann und wann eine
dicke Larve oder einen Regenwurm aufpickt. Als Heda vorschnellt, flattert sie
schimpfend auf. Der Hund beendet ihren Fluchtversuch, indem er sie mit einem
unbarmherzigen Hieb der Pfote aus der Luft holt, so dass es dem Vogel das
Rückgrat bricht.
    Joan erhebt sich von dem
umgestürzten Eichenstamm und wischt Robert den Mund mit dem Handrücken von
Essensresten sauber. Der Kleine beobachtet fasziniert das bewegte Spiel von
Sonnenlicht und Schatten auf dem weichen Waldboden. Sie ergreift seine Hand.
„Wir sind bald da.“
    Heda liegt in der Nähe und
horcht beim Klang ihrer Stimme auf. Sie nimmt die Reste ihrer erlegten Amsel
zwischen die Pfoten, so dass sie diese besser unter schauerlichem Knacken
zerbeißen kann, und würgt eilig ihr kleines Festmahl herunter. Wenige
Augenblicke später kommt sie auf alle Viere und stellt mit witternd erhobener
Nase plötzlich wachsam die Ohren auf.
    Joan greift alarmiert an das
Heft ihres Schwertes, als sie auch schon einen nahen Ast brechen hört. Sie
fährt herum. Heda hat angeschlagen und so wendet sie sich in die Richtung, in
welche das Tier blickt. Gleich darauf stößt sie einen freudigen Ruf aus. „Gwen!
Ich bin es, Joan.“
    Die aufrechte Gestalt kommt
sicheren Schrittes auf sie zu. „Ich weiß“, antwortet sie mit vertraut
angenehmer Stimme. „Meine Augen sind noch immer gut, Gott sei dafür gedankt.“
    Sie stehen sich direkt
gegenüber und mustern sich lächelnd. Gwen hat sich in den zwei Jahren ihrer
Abwesenheit nicht verändert. Ihre grünblauen Augen blicken noch immer wach, das
schlohweiße Haar ist auf dem Rücken zu einem dicken Zopf geflochten und steht
in grobem Kontrast zu ihrer gebräunten Haut. Ihr Lächeln lässt zwei lückenlose
Reihen weißer Zähne erscheinen.
    Sie fallen sich in die Arme und
drücken sich. Der vertraute Duft von Kräutern und Schaf vom Fell der
Schlafstätte lullt Joan beruhigend ein.
    „Was führt dich zu mir, Joan“,
fragt die alte Frau und blickt ihr forschend ins Gesicht. „Du bist unglücklich,
deinen geröteten Augen nach zu urteilen.“
    Joan lächelt. „Dir entgeht wie
immer nichts.“
    Gwen streichelt Robert über den
lockigen Schopf. Der Kleine schenkt ihr ein offenes Kinderlächeln.
    Mit einem
wissenden Nicken lächelt sie zurück. „So kommt. Die anderen sind gerade
unterwegs, die ersten Pilze sammeln.

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