Die rote Farbe des Schnees
der Kindheit zur Wirklichkeit
wurde. Wunderschöne, in ihrer Zusammensetzung komplizierte und sich schnell
ändernde Muster in den herrlichsten Farben, beherrschen nun das, was sie sieht.
Sie ist voller Ehrfurcht. Doch droht es sie zu überwältigen. Sie sieht keinen
Sinn in ihnen, versucht verwirrt, sich zu orientieren. Dann gewahrt sie eine
unbeschreibliche Melodie, herrlicher als alles, was sie je hörte, die ihr die
Tränen in die Augen treibt, in deren Rhythmus sich die Muster harmonisch
ändern. Sie beruhigt Joan. Brians Singsang rückt sich ihr ins Bewusstsein. Nun
scheinen die Farben auch nach diesem zu tanzen. Alles ist im Einklang. Ein sehr
helles, grünliches Licht, das den Farben innewohnt, beginnt, diese zu
überstrahlen. Es wird immer heller. Heller noch, als die Sonne, zieht Joan in
sich hinein, ohne sie zu blenden. Sie ist ganz ruhig. Das Licht singt. Es
strahlt und erklingt in höchster Harmonie. Es gibt Joan Frieden. Sie will eins
mit ihm sein und ist eins mit ihm und mit allem Erdenklichen. Nichts liegt mehr
im Geheimen, alles hat Sinn. Denn alles entspringt diesem schöpfenden Äther,
wird von ihm durchdrungen. ... Sie ist im allwissenden Licht. Doch plötzlich
bricht alles ab und sie stürzt zurück ins Dunkel. Es kommt so unvermutet, dass
es schockiert, sich Joan ein alles beherrschendes Gefühl unsagbarer
Enttäuschung ermächtigt. Sie sehnt sich nach diesem Licht zurück, wird
stattdessen jedoch von dunkler, dumpfer Nacht umfangen.
Die erwartungsvollen Gesichter
Brians und Gwens haben sich ihr im Schein des Feuers zugewandt.
Joan ringt um ihre Fassung. Es
ist, als hätte man ihr das im Leben Begehrteste entzogen. Sie atmet durch. „Ich
will mehr wissen“, bekundet sie mit belegter Stimme, was Gwen und Brian
verstehend grinsen lässt.
Gwen
räuspert sich bedeutungsvoll. „Was du gesehen und gehört hast ist die einzig
wahre Kraft. Die heilige Kraft, welche einen Jeden, der sie schaut, in Demut
versetzt. Die göttliche Kraft, die du mit deinen Gebeten erreichst, die alles
in Liebe schöpft und strukturiert, am Leben hält und wieder zerstört, und die
allgegenwärtig über alles und Jeden wacht.“ Auf Joans verbittertes Schniefen
hin nickt Gwen verständnisvoll. „Du spürtest die Liebe des heiligen Geistes und
empfindest nun den Verlust der schönen, harmonischen Welt, Joan. Man kann das
alte Paradies wieder herstellen. Darum solltest du wie wir bemüht sein. Um
Heilung und Heil des Menschen Leib und Seele willen. Denn die Welt ist aus den
Fugen, seit Adams Sündenfall. In ihr herrschen seitdem Verwirrung, Krankheit,
Angst und Sorge, Herzenskälte und Korruption. Die Menschen leben im
Missverhältnis mit der hohen Ordnung des doch so schönen Kosmos. Tue dein Möglichstes,
um ihnen und auch dir selbst zurück zu Mitte und Maß zu verhelfen. Denn diese
wiederzuerlangen und ordnend zu wirken, den Geist durch Fragen und Suchen
reifen zu lassen, um Fülle und Weisheit der Schöpfungskraft zu gewahren und zu
erfahren, somit sich selbst als Bestandteil der Schöpfung zu vollenden, DAS ist
unser gottgewiesener Weg.“
Joan mahlt
das Korn von wildem Hafer mit einem walzenförmigen Stein direkt auf dem harten
Untergrund des Felsvorsprunges. Ab und an puhlt sie eine Spelze aus dem groben
Mehl heraus, welches sie mit Wasser und gemahlenen, wilden Kümmelsamen zu
vermengen gedenkt, um auf den heißen Steinen nahe ihrer Feuerstelle ein
kleines, nahrhaftes Fladenbrot gegen Roberts scheinbar unstillbaren Hunger zu
backen. Der Kümmel soll sein Bauchweh mindern, welches ihn seit kurzem plagt.
„Mama!“ Robert spielte noch bis
soeben mit einem Stöckchen im Bachwasser. Nun steht er unterhalb des
Felsabsatzes und blickt erwartungsvoll zu ihr empor, auf dass sie ihn
hochtrage. Behände erhebt sie sich, um die Trittlöcher zu ihm hinabzusteigen.
„A a“, empfängt er sie mit
einem Strahlen und will gelobt werden, was sie auch nicht versäumt. Seit er den
ganzen Tag mit nacktem Po umherläuft, ist er sauber geworden, worüber Joan
ungemein froh ist. Würde es doch einen ordentlichen Aufwand bedeuten, seine
Windeln ständig waschen zu müssen. Im kalten Bachwasser bekäme sie diese
jedenfalls nur leidlich sauber.
Sie legt ihn übers Knie, um ihn
mit einer Hand voll grüner Blätter abzuputzen und stutzt, als ihm ein roséfarbener
Wurm einen Finger lang aus dem After hängt. Beinahe gleicht er einem Regenwurm.
Doch weiß sie, dass es sich um einen Spulwurm handelt, da sie bereits des
Öfteren
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