Die rote Farbe des Schnees
Anfangs in den Borders, als sie sich
das Tal des Tweed hinauf gen Südwest bewegten und die Grenze schließlich bei
Coldstream überschritten, passierte ein ständiger Strom von Nachzüglern die
Nachhut, um sich ihnen anzuschließen. Die Spähtrupps der Vorhut sichern ihnen
das unbehelligte Vorwärtskommen im Feindesgebiet. Zusätzliches Schlachtvieh
besorgen sie sich mit Gewalt durch speziell zu diesem Zwecke abbestellte
Truppen von den Bauern der umliegenden schottischen Dörfer. Ihr Nachtlager
schlagen sie stets in Zelten, halb umstanden von einer schützenden Wagenburg,
auf. Doch man lässt ihnen nur wenig Schlaf, treibt das Heer unbarmherzig
vorwärts, um noch zum vereinbarten Zeitpunkt, dem 24. Juni, Stirling Castle zu
erreichen. Joan sah noch nie in ihrem Leben derart viele Menschen so
dichtgedrängt beieinander. Die Stärke des Heeres beläuft sich auf über
zwanzigtausend Mann, bestehend aus annähernd siebzehntausend Fußsoldaten,
welche von Lanzenträgern und Bogenschützen gestellt werden, und der nahezu dreitausend
Seelen zählenden Reiterei, vornehmlich Panzerreitern, dem kampferprobten Adel.
Zu dieser zählen auch etliche Söldner aus der Fremde, wie Flandern, Burgund und
deutschen Landen. Es ist nach Stirling Bridge das zweitgrößte Heer, das jemals
auf englischem Boden zusammengezogen wurde. Und dies, obwohl etliche Mächtige,
wie die Anführer der Opposition, die Earls of Lancaster und Warwick, dem
Heerbann nicht folgten, da der König zuvor nicht die erforderliche Zustimmung
der Barone des Parlaments eingeholt hatte. Überhaupt haben sich Edward im
Vergleich zu seinem Vater nur wenige Ritter aus dem mächtigen Hochadel
angeschlossen, was auf dessen Unbeliebtheit zurückzuführen ist und seine
Machtlosigkeit gegenüber der Opposition wiederspiegelt. Immerhin sind es derer,
die sich auf seine Seite schlugen, jedoch schon mehr, als noch vor drei oder
vier Jahren während der beiden letzten Strafexpeditionen nach Schottland, die
aufgrund der verwehrten Unterstützung seitens der Barone gezwungenermaßen
fehlschlugen. Jene Treuen jedoch werden nun das Heer in der Schlacht unter
seinem Kommando führen. Unter ihnen altgediente Veteranen aus beiden Kriegen,
sowohl dem walisischen, als auch dem schottischen. Insgesamt führt König Edward
eine in Ausrüstung und Erfahrung exzellente Armee nach Schottland.
Malcom vor ihr lässt sich
zurückfallen und kommt gemächlich neben sie.
Joan gibt ihre nachlässige
Reithaltung tunlichst auf und nimmt den Birkenzweig hurtig aus dem Mund, um ihn
unauffällig wegzuwerfen.
„Jack, du wirst mir von nun an
nicht mehr von der Seite weichen, verstanden?“
Auf seinen durchdringenden
Blick hin nickt sie nachdenklich. „Warum“, wagt sie schließlich doch, unsicher
zu fragen.
Er wendet sich im Sattel
flüchtig nach seinen Männern um, die auf ihren Pferden gleichgültig hinter
ihnen hertrotten, streift Joan sodann mit kurzem Blick und sieht wieder nach
vorn. „Wie ich bereits erwähnte: du hast einen mächtigen Feind. ... Mehr sollst
du vorerst nicht wissen.“
Sie räuspert sich. „Findest du
nicht, dass ich besser dran wäre, wenn ich wüsste, mit wem ich es zu tun habe?“
Er schüttelt den Kopf. „Nein.
... Vertrau mir.“
„He, Chardon!“ Ein Ritter mit
langem, schwarzem Haar ist neben ihn gekommen, zügelt seinen Destrier und stößt
Malcom daraufhin derb gegen die Schulter. Er hat einen Grashalm im Mund, auf
dem er gelassen herumkaut. „Erkennst du einen guten Freund nicht mehr?“
Malcom schmunzelt. „Sei mir
gegrüßt, Raban“, erwidert er mit offensichtlichem Vergnügen und schlägt dem
Ritter freundschaftlich auf den Rücken. Sie grinsen sich einträchtig an.
„Aah, verstehe“, bemerkt
besagter Raban unter verschmitztem Zwinkern. „Du hörst vermutlich nur noch auf
Farwick.“
„Macht der Gewohnheit“, gibt
Malcom nickend zurück, so dass Rabans Grinsen noch breiter wird.
„Du bist nicht in der Vorhut“,
fragt er daraufhin mit gespielter Überraschung, während er den Halm mit der
Zunge in den anderen Mundwinkel wechselt.
Malcom schüttelt unter
verhaltenem Lachen den Kopf. „Das überlasse ich diesen jungen Heißspornen, die
es sich darum verdient machen wollen, in deine Garde aufgenommen zu werden.“
„Seit wann?“
Malcom seufzt gedehnt, worauf
sie lachen.
„Ich fürchte, dir ist der
Lehnseid aufs Gemüt geschlagen“, bemerkt Raban, was Malcom mit Kopfschütteln
beantwortet.
„Ich verspüre nicht die
geringste Lust auf
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