Die rote Farbe des Schnees
Male stutzt sie. Das Tier ist nirgends
zu sehen. Wieder einmal! Leise fluchend klettert sie vom Baum herab und erstarrt
beim Klang von gedämpftem Gewieher. Gerade ist sie darin begriffen, Brix zurück
zu pfeifen, als eine aufgeregte Männerstimme an ihr Ohr dringt.
Joan ist entsetzt. „Du treulose
Mähre! Was hast du mir nun wieder eingebrockt“, flucht sie verärgert, während
sie auf leisen Sohlen beunruhigt dem Wiehern der so Genannten entgegen
schleicht. Ihr Weg führt sie die Flussniederung entlang des Baches hinab.
Umrahmt von silbern im Mondlicht liegenden Hügeln öffnet sich vor ihr alsbald
eine kleine Ebene.
Unübersehbar bäumt sich Brix
weiter vor ihr wutschnaubend auf. Ihm liegt ein Strick um den Hals, dessen Ende
von einem Mann unter Aufbietung all seiner Kraft gehalten wird. Sie duckt sich
ins hohe Gras ab. Der Unbekannte versucht immer wieder, sich einem kleinen Baum
zu nähern, um das Seilende darum winden zu können, was ihm zu ihrem Unmut
schließlich gelingt. Brix gebärdet sich wie eine wildgewordene Bestie, steigt
hoch oder schlägt mit den Hufen nach dem Mann aus. Doch das Seil zerrt ihn
zurück, hält ihn in festem Griff. Joan erkennt, dass die Zeit gegen Brix läuft.
Sein Bändiger scheint nur geduldig abzuwarten, bis sich das Tier erschöpft hat.
So weit darf sie es nicht kommen lassen! Vorsichtig schleicht sie sich näher
heran, bis sie nur noch einen Steinwurf vom Schauplatz entfernt ist, was ihr
einen genaueren Blick auf den Schotten erlaubt. Dieser ist von mittlerer Größe
und eher schmal gebaut. Er flucht mit noch krächzender, im Stimmbruch
befindlicher Kehle, als Brix auf ihn losstürmt, und flieht aus dessen Reichweite.
Brust und Rücken des Burschen scheint ein dicker Lederharnisch zu bedecken, wie
sie im Mondlicht zu erkennen glaubt. Das Schwert hängt ihm an der rechten
Seite. So ist er Linkshänder. Der ungewohnten Schwertführung wegen ein
gefährlicher Gegner! Sie sammelt sich kurz, zieht den Dolch aus der Scheide und
springt auf. Im nächsten Moment ist sie bei dem arglosen Jüngling angelangt.
Behände setzt sie ihm ihren Dolch von hinten an die Kehle. Der Ärmste zuckt
erschreckt zusammen, richtet sich gerade auf und hebt zum Zeichen seiner
Ergebung beide Arme leicht angewinkelt nach oben. Brix tänzelt noch nervös, hat
sie jedoch erkannt und beruhigt sich allmählich. Joan löst den Schwertgurt
ihres Gefangenen und nimmt diesen an sich. Sie tastet seine Hüften ab. Als sie
ein Messer findet, wirft sie es in hohem Bogen ins Gras. Auf keinen Fall will
sie ihm ihr junges Gesicht zuwenden, da er sonst vielleicht wagemutig wird und
auf dumme Gedanken kommt. „Hinlegen“, fährt sie ihn an. Er stutzt ob ihrer
unmännlichen Stimme, leistet ihr jedoch Folge. Plötzlich vernimmt sie von der
Seite her raschelndes Gras und wendet sich bestürzt in diese Richtung. Ein
kräftiger Mann hat sich im hohen Gras aufgesetzt. Er wirkt benommen. Im
Mondlicht glitzerndes Blut strömt über seine Stirn. Sie hat kein Interesse
daran, abzuwarten, bis er richtig zu sich gekommen ist. Behände setzt sie um
den auf dem Bauch liegenden Jüngeren herum, damit sie ihn besser im Auge hat
und nicht zwischen den beiden steht. Dabei gürtet sie sein Schwert. Mit einem Satz
schwingt sie sich auf Brix, zieht das Schwert und durchtrennt mit einem
leichten Streich die Halsleine. Das Tier wendet und schnellt übermütig nach
vorn, ohne dass sie ihm die Hacken in die Seiten treiben muss. Es ist, als
wolle Brix nur schnell weg von diesem unglückseligen Ort. In atemberaubender
Schnelle beschleunigt er auf die Ebene zu.
Joan gönnt ihnen keine Rast.
Brix findet seinen Weg, jagt in erstaunlicher Ausdauer über Felder und Wiesen,
vorbei an verschlafenen Dörfern und im Nebel liegenden Weihern.
Zu Joans
Verdruss dämmert der Morgen bereits herauf und verdrängt das Dunkel der kurzen
Nacht. Die nun vollends hügelig gewordene Gegend bietet guten Sichtschutz. Joan
steuert eine kleine Senke mit einem Wasserrinnsal an und sitzt dann dort
erschöpft ab. Brix säuft verschwitzt, während sie ihn mit ein paar Händen
trockenen Grases abreibt. Mit dem Strick um seinem Hals bindet sie ihn an einem
nahen Bäumchen fest, so dass er noch ausreichend grasen kann. Dann nimmt sie
selbst ein paar lange Züge von dem Wasser des Rinnsals und kauert sich ins
Gras. Kurz darauf ist sie fest eingeschlafen.
Joan
erwacht aufs Äußerste angespannt. Irgendetwas hatte sie geweckt und sie ist
mehr als beunruhigt. Sie kommt sich
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