Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
Vom Netzwerk:
annähernd so finster, wie unter dem Sack. Nur die
Fackel in der Hand des alten Kerkermeisters vor der Tür spendet etwas Licht.
Ein bulliger Mann, dessen Gesicht im Schatten liegt, steht vor ihr. Er nimmt
ihr den Knebel aus dem Mund, holt ein Messer am Gürtel hervor und schneidet ihr
die Fesseln um Hand- und Fußgelenke durch. Daraufhin dreht er sich wortlos um,
geht zur Tür hinaus und letztere schließt sich wieder. Sie lassen Joan in
völliger Dunkelheit zurück.
    Das Licht
der Fackel dringt noch kurz durch die Türritzen, um dann ganz zu verschwinden.
Es ist stockfinster und unheimlich still. Das Stroh unter ihren Füßen raschelt,
als sie sich umdreht. Immerhin ist es trocken, wie sie mit der Hand feststellt.
Auch sonst riecht es lediglich nach feuchtem, muffigem Gewölbe. Mit
angehaltenem Atem lauscht sie angestrengt, doch außer ihr scheint niemand im
Raum zu sein. Sie schluckt. Die finstere Stille ist erdrückend. Sie wagt nicht,
sich hinzusetzen, da es so etwas Endgültiges hat. Allmählich bekommt sie in der
feuchten Kühle klamme Hände. Sie beginnt, ihr Verlies abzuschreiten. Acht
Schritte in die eine, fünf in die andere Richtung. Daraufhin steht sie wieder
unschlüssig da. Immerhin schmerzt ihr der Kopf nicht mehr so stark, seit die
Erschütterungen aufgehört haben. Schließlich lässt sie sich doch ins Stroh
sinken. Wenn sie ihr nur etwas Wasser bringen würden! Aus der
gegenüberliegenden Ecke vernimmt sie leises Rascheln, das mit Gepiepse
einhergeht. Sicher von Mäusen oder Ratten stammend. Sie seufzt schwermütig.
Wenigstens ist sie nicht ganz allein. Wie gerädert legt sie sich ins Stroh,
deckt sich damit gegen die Kühle zu und lässt ihren Gedanken freien Lauf. Sie
kreisen um Malcom. Er muss irgendwo in diesem gottverlassenen Kerker sein. Wenn
sie ihn doch nur irgendwie erreichen könnte! Sie müssen hier raus. ... Ein
wenig wundert es sie selbst, dass sie im Angesicht dieser Trostlosigkeit noch
nicht aufgegeben hat. Doch es ist nicht ihre Art, die Hoffnung zu verlieren.
Einen Ausweg gibt es meist. Man muss ihn nur finden. Sie denkt zurück an ihre
missglückte Flucht und könnte sich ohrfeigen. Sie hätte Brix zurücklassen, sich
in einem Dorf einfach ein unauffälligeres und weniger kostbares Pferd besorgen
sollen, um ihre hartnäckigen Verfolger loszuwerden. Denn zweifellos handelt es
sich bei den beiden um jene zwei Reiter, die sie schon ganz zu Beginn vom Rand
des Haines aus verfolgt hatten. Wie sonst hätten sie ihre Person mit Malcom in
Verbindung bringen können? Sie mussten sie zusammen gesehen haben, hatten es
von Anfang an nur auf Brix abgesehen! Zweifellos wäre sie ohne ihn besser dran
gewesen. ... Sie hat auf ganzer Linie versagt und schlägt sich wütend gegen die
Stirn. Sogleich bereut sie es, da die Kopfschmerzen wieder hoch pochen. Wenn
ihr nicht etwas einfällt, wie sie von hier wegkommen, werden sie das Tageslicht
wohl nicht wieder lebend erblicken. Denn irgendwann wird klar sein, dass
niemand für sie zahlen kann. In Malcoms Steward jedenfalls setzt sie kein
großes Vertrauen.
    Joan
schreckt vom Geräusch sich zurückziehender Türriegel hoch. Sie muss
eingeschlafen sein und kann nicht abschätzen, wie viel Zeit inzwischen
vergangen ist. Die Tür öffnet sich. Gleißendes Fackellicht zwingt sie, die
Augen zum Schutz zusammen zu kneifen. Sie hört Schritte im raschelnden Stroh
und blinzelt. Ihre Augen gewöhnen sich nur langsam an die Fackel. Als sie es
einigermaßen bewerkstelligt haben, stockt ihr der Atem. Der Bullige und der
alte Kerkermeister sind soeben dabei, Malcoms leblos erscheinenden Körper an
die Wand zu ketten, indem sie ihm eine Fußkette um den bloßen Knöchel legen.
Seine Stiefel haben sie ihm wohl abgenommen. Man hat sein Gesicht übel
zugerichtet. Ein Auge ist fast zugeschwollen. Eine Platzwunde klafft auf seiner
Stirn, aus der Blut sickert, das ihm übers Gesicht rinnt.
    Der Alte wirft einen Blick auf
Joan und wirkt erstaunt. „Du bist ja noch ein halbes Kind, Bürschchen!“ Auch er
betont die Worte eigentümlich, offenbar darauf bedacht, sich ihr verständlich
zu machen.
    „Ich habe solchen Durst!“ Joan
versucht, sich einen Vorteil aus ihrer trügerischen Jugend zu verschaffen. Es
scheint zu fruchten. Der Alte nickt mitleidig, um sogleich wieder zum Bulligen
zu blicken, der Malcoms Fußfessel überprüft. Dann verlassen beide das Verlies
und schließen die Tür, ohne jedoch die Riegel vorzuschieben.
    Joan tastet sich zu Malcom vor.
Er atmet ruhig.

Weitere Kostenlose Bücher