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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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im Magen und
ein seltsames Flattern im Unterleib, und er drückte das Kissen noch fester auf
die Ohren, als ob er so aussperren könnte, was er empfand.
    DeeDee hatte ihn nicht gesehen. Sie hatte getanzt, mit seltsam
eckigen, ungelenken Bewegungen, zuckend, wütend, heftig.
    Er hatte gesehen, wie sie schwitzte, wie der Schweiß ihr vorn in den
weiten Ausschnitt lief und wie er große, dunkle Flecken auf ihrem Rücken und an
ihren Seiten malte. Ihre Beine nackt und weiß, das rechte Bein normal, schlank,
muskulös, das linke Bein dürr wie ein Stock mit einer Längskerbe vorn am
Oberschenkel, mit narbiger Haut überwuchert. Und über dem Knie war ein frischer
Schnitt oder Riss, aus dem Blut lief.
    Simon hatte einen Ständer, als DeeDee ihn schließlich entdeckte.
Einen Moment lang hatte sie ihn böse angestarrt.
    Simon wusste, dass er in einen sehr intimen Moment eingedrungen war,
der ihn nichts anging, und er wäre so schnell verschwunden, wie er konnte. Wenn
sie nicht die Musik abgestellt hätte.
    Die plötzliche Stille dröhnte ebenso in Simons Ohren wie zuvor die
Musik, und sie bannte ihn. Jede Bewegung, die er machte, erschien ihm nun
überlaut.
    Â»Simon!«
    Sein Name klang in seinen Ohren nach, immer noch. Er hatte auf dem
Absatz kehrtgemacht und war davongerannt wie ein Kind.
    Â»Ich habe nicht vor, mir meine Rolle wegnehmen zu lassen«, hatte sie
ihm hinterhergerufen.
    Seit Simon dem Streit im Nebenzimmer lauschte, begriff er auch, was
DeeDee mit diesem Satz gemeint hatte.
    Â»Halt! Gib das her!«
    Â»Nein!«
    Â»Rose, du hast genug getrunken. Hör zu! Wie willst du morgen auf der
Probe besser sein, wenn du kaum geradeaus gucken kannst. Hör jetzt auf zu
saufen, geh endlich schlafen und komm runter. Noch bist du keine Diva, sondern
eine blutige Anfängerin. Du musst dich erst beweisen, bevor du dir Allüren
erlauben darfst.«
    Â»Aber du glaubst an mich, ja?«
    Ihre Stimme klang bettelnd.
    Â»Ja, natürlich. Komm, steh auf, zieh die Sachen aus, und leg dich
endlich schlafen.«
    Â»Dave. Mach mir ein Kind.«
    Nebenan blieb es plötzlich still, und Simon verringerte den Druck
seiner Hände auf das Kissen. Würde es nebenan jetzt eine Sexszene geben? Er
wollte es nicht, es ekelte ihn, und zugleich erregte ihn die Vorstellung, und
er dachte wieder an DeeDee, schwer atmend, schwitzend, und seine Hand wanderte
wie von selbst seinen Bauch hinab, in Erwartung dessen, was er von nebenan
gleich hören würde.
    Es war ein Lachen, so kalt, dass es Simon erschreckte.
    Â»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mich auf ein Kind mit
einer zwanzig Jahre jüngeren Frau einlasse. Hast du geglaubt …«
    Ein Aufschrei, etwas krachte an die Wand. Noch ein Schrei, wütend,
und dann Weinen, Weinen, Schritte, hin und her, Geklappe, Gelaufe, und nicht
ein einziges Wort mehr.
    Simon grub sich tiefer in sein Kissen. Er wollte nichts mehr hören.
Er wollte endlich schlafen, und endlich schien die Dämmerstimmung ihn zu
packen, schien ihn in diese warme, weiche, nach Kissen duftende Dunkelheit
mitnehmen zu wollen, und wieder drang Musik an seine Ohren, ein drängender,
schriller Rhythmus, der ihn zurückholte, zurück in das Zimmer im ersten Stock.
    Simons Handy klingelte und ratterte über das Nachttischchen, fiel
runter und klingelte unten weiter. Simon angelte danach, drückte auf Grün, ohne
auf das Display zu schauen.
    Â»Mam?«
    Ein leises Lachen am anderen Ende.
    Â»Nein. Ich bin’s. DeeDee. Simon, ich weiß, es ist spät. Aber ich
muss dir etwas Wichtiges sagen. Kannst du kommen?«
    Simon nickte, obwohl DeeDee das nicht sehen konnte.
    Â»Wohin denn?«
    Â»In die Sporthalle.«
    Â»Okay. Bis gleich.«
    Er legte auf, mit pochendem Herzen. Und nebenan wurde die Tür
zugeschlagen, dass die Wände wackelten.
    Es wurde schon dunkel, draußen gingen kaum noch Leute
vorbei, und das Café ohne Namen hatte auch schon längst zu. Gunnar hatte das
nicht gerne, weil er nicht gerne im Dunkeln über den Friedhof ging. Aber
Feierabend war erst, wenn Hanno kam, um Feierabend zu machen.
    Gunnar stand hinter dem Ladentisch und versuchte, nicht auf seine
schmerzenden Füße in den Filzpantoffeln zu achten. Wenn er nach Hause ging,
würde er sie einfach anbehalten. In die Lederschuhe bekam er die Füße heute
Abend sowieso nicht mehr hinein, da war ihm schon zu viel Wasser und Blut in

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