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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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die
Beine gelaufen, das ging nur weg, wenn er zu Hause seine Tabletten nahm.
    Und dann klingelte das Telefon. Das hatte Gunnar auch nicht so
gerne, weil man vorher nicht wusste, wer dran war. Aber vielleicht war es
Hanno, und weil es zehn Mal klingelte, und dann, nach einer Pause, noch
sechzehn Male, und weil Gunnars Herz darum immer schneller schlug, musste er
rangehen. Falls es Hanno war, dann würde er Ärger bekommen, wenn er nicht
ranging.
    Seine Hand zitterte so sehr, als er zum Hörer griff, dass er kaum den
grünen Knopf traf.
    Â»Ist der Junge bei dir?«
    Hanno klang wütend. Das war nicht gut. Gunnar fragte sich, ob es
seine Schuld sein konnte, dass Hanno so wütend war? Er schüttelte den Kopf.
    Â»Gunnar!«
    Â»Was?«
    Â»Ist der Junge bei dir, habe ich gefragt.«
    Â»Nein. Nein, ganz bestimmt nicht!«
    Am anderen Ende ein unterdrückter Fluch.
    Â»Na schön. Mach den Laden zu, und geh nach Hause. Ich komm heute
nicht mehr. Hör zu, Gunnar, ich will, dass du mich anrufst, falls der Junge bei
dir auftaucht. Weißt du, wie du das machen musst?«
    Â»Ich mache das Handy an.«
    Â»Genau, das machst du jetzt gleich.«
    Gunnar nickte und holte das winzig kleine Telefon aus der
Kassenschublade und drückte lange auf den roten Hörer, so wie Hanno es ihm
schon oft gezeigt hatte. Und dann kam die Geheimzahl.
    Â»Hanno. Ich weiß die Zahl nicht mehr.«
    Â»Schon klar. Hör zu: 0858.«
    Gunnar tippte die Zahlen mit zitternden Fingern ein. Er vertippte
sich nicht. Alles war richtig. Das Handy war an, und ein Lächeln huschte über
sein Gesicht.
    Â»Es ist an«, sagte er.
    Â»Gut gemacht, Alter. So, nun steckst du das Handy ein und gehst nach
Hause. Wenn es klingelt, dann gehst du ran, das bin dann ich. Und wenn du den
Jungen siehst, dann rufst du mich an.«
    Gunnar nickte unablässig.
    Â»Dann drück ich zwei Mal auf Grün, dann warte ich, dann hab ich dich
dran.«
    Â»Genauso ist es. So, nun mach den Laden zu und geh.«
    Gunnar legte das Telefon auf seine Station, knipste die Lichter aus
und schloss die Ladentür zu. Er würde etwa eine halbe Stunde nach Hause
brauchen, wenn er langsam ging. Schnell ging heute nicht mehr, dazu war er zu
kaputt, und auf dem dunklen Friedhof musste man aufpassen, dass man nicht
vorzeitig in die Grube fuhr.
    Oder er ging außen rum? Sollte er außen rumgehen? Er hätte Hanno
fragen sollen. Gunnar blieb vor dem Friedhofstor stehen und wackelte
unentschlossen von einem Bein aufs andere. Außen rum. Das dauerte länger, aber
es war viel heller und viel sicherer, und er kam an der Kirche vorbei, und das
war gut, weil man so eine Chance hatte, ein bisschen Segen abzubekommen.
    An der Kirche rechts und dann geradeaus, geradeaus, geradeaus, am
Friedhof links vorbei und geradeaus, und dann über die Straße, und dann war
Gunnar auf dem Matscheweg, links noch mehr Friedhof, rechts Hecke mit kleinen
Toren, und das dritte Tor war seins, er hatte seinen eigenen Schlüssel, der
rostig war und im Schloss knarzte und raspelte, und wenn er dann die Tür wieder
zumachte und sich zwischen den Hecken hindurchzwängte, die immer mehr auf den
schmalen Plattenweg drängten und seine Jacke und seine Ohren streichelten, dann
war es dazwischen ganz und gar finster, und vorne glänzte bis unter die
entfernte Uferböschung der Badenverbotenteich, der dieselbe Farbe hatte wie der
bleiche Himmel, und obwohl es eine nebelige Geisterfarbe war und obwohl die
Fenster der Hütten hier herum schwarz und blind waren und obwohl überhaupt
alles ganz schwarz war, fürchtete Gunnar sich niemals, wenn er hierher kam und
wenn er erst einmal das schwarze Eisentor hinter sich geschlossen hatte. Er
hatte ja den Schlüssel.
    Jetzt musste er nach links, das Ufer lag unter ihm, einen steilen
Hang hinab, da durfte man nicht danebentreten, denn dann ging es abwärts, bis
man im Wasser landete, und der Weg war nur mit losen Steinen gesäumt, ein
schmaler Weg, im Dunkeln kaum zu sehen, und die Laternen vom Columbiadamm
reichten nicht bis hier herüber. Dies war das Wegstück, auf dem Gunnar sich
immer eine Taschenlampe wünschte, aber Hanno hatte ihm das verboten, damit niemand
merkte, dass er hier schlief.
    Die siebte Hütte links. Dunkles Holz, Geranien in Rot und so lila
Blumen, wie weit schwingende Frauenröcke beim Tanzen, hübsch. Zwei Steinplatten
als Stufen, die Tür links, Sille hatte ihm

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