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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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sie.
    Â»Josef, ich muss mit dir reden. Bist du in der Lage dazu? Komm, setz
dich hin.«
    Sie zerrte an seinem Arm. Aber er konnte nicht. Er zog sich noch
enger zusammen.
    Â»Lass mich schlafen. Bitte, lass mich einfach nur schlafen.«
    Â»Josef, hör mir zu. Ich muss das wissen: Was ist zwischen dir und
Simon vorgefallen?«
    Er schüttelte den Kopf. Der Name kam ihm bekannt vor.
    Â»Ist zwischen euch … hast du … ihn … «
    Das Schrille war aus der Stimme verschwunden. Jetzt klang sie
ängstlich.
    Â»Nein«, sagte Rost. Er vermutete, dass es dieses Wort war, das sie
hören wollte. Und dann würde sie vielleicht wieder gehen, würde ihn in Ruhe
lassen. Er musste schlafen. Er brauchte die Bässe.
    Â»Hast du ihn angefasst?«
    Â»Nein. Mir geht’s nicht gut.«
    Â»Hast du ihn angefasst?«
    Â»Nein!«
    Dann eine Weile nur das Wispern der Bässe aus den Kopfhörern in
ihren Händen. Er griff danach, aber sie zog sie weg.
    Â»Ich werde dich wieder danach fragen, wenn du nüchtern bist. Sieh
zu, dass du bis dahin am Leben bleibst.«
    Dann setzte sie die Kopfhörer zurück auf seine Ohren und verschwand
in dem gleißenden Rechteck, das die Tür war. Und dann endlich Dunkel.
    Bei so einem Teich konnte man gar nicht auf die Idee kommen,
dass es unter der Oberfläche noch etwas geben sollte. Er war hübsch unter der
Abendsonne, die weite Wasseroberfläche glänzte wie ein Spiegel. Ein Spiegel
bestand ja auch nur aus einer Oberfläche, und obwohl man alles darin sehen
konnte, war rein gar nichts drin. Wenn man den Spiegel umdrehte, sah man, dass
er absolut flach und leer war. Mit dem Teich war das genauso.
    Gunnar nippte vorsichtig von seinem Kamillentee, weil der beruhigte.
Der Tee, ein sanftes Lüftchen, Vogelgesang und die Sonne auf dem Spiegelteich,
da konnte man vergessen.
    Was eigentlich? Gunnar kicherte. Ja, was? Das hatte er ja eben
vergessen. Das hatte Hanno ihm ja auch ausdrücklich so gesagt: Vergiss das
hier. Es ist nie passiert. Ja, was denn? Gunnar schlug sich auf die Schenkel
vor Vergnügen. Er hatte es vergessen!
    Aber er musste aufpassen, dass es ihm nicht wieder einfiel. Darum
ging er in die Hütte, um einen neuen Teebeutel zu holen. Kamille war auch gut
für einen nervösen Magen, Kamille war überhaupt gut. Gunnar kramte die
Pappschachteln mit den verschiedenen Teesorten vom Regal. Minze, Earl Grey,
nein, zu aufregend, Rotbusch, lasches Zeug, Malve. Keine Kamille mehr.
    In seiner Minispüle lag ein ausgedrückter, grüngelber Haufen nasser
Teebeutel. Alles Kamille. Er zog die Beutel einzeln an ihren Fäden aus dem
Gewirr heraus und warf sie in den Müll, zählte langsam von eins bis
fünfundzwanzig. Er hatte den ganzen Kamillentee ausgetrunken. Dabei hatte Sille
ihm erst gestern neuen gebracht.
    Seit er nicht mehr ins Geschäft ging, kam sie jeden Tag, um nach ihm
zu sehen. Er würde sie bitten müssen, ihm neuen Kamillentee mitzubringen, denn
er musste ja hierbleiben und vergessen und aufpassen und Bescheid sagen, wenn
jemand schnüffeln kam.
    Trotzdem, aus Gunnars Kehle stieg ein Jammerlaut auf, den er schnell
mit den Händen erstickte. Trotzdem. Was sollte er jetzt tun, bis Sille mit
neuem Tee kam? Wie sollte er bis dahin vergessen?
    Gunnar hängte einen Beutel Malventee in seinen Becher und schlurfte
wieder auf die Terrasse hinaus, besser als nichts, setzte sich an sein
Tischchen, von dem sich die Resopalbeschichtung abwellte, weil sie zu viel
Feuchtigkeit geschluckt hatte, und der Gedanke erschreckte ihn, weil
Feuchtigkeit schlucken, das konnte ja auch was anderes heißen, und er sollte
doch vergessen.
    Schnell drückte er sich heißes Wasser aus seiner Dreiliterthermoskanne
in die Tasse und schwenkte den Teebeutel an seinem Faden darin hin und her, sah
zu, wie rote Schlieren sich aus dem Beutel lösten und sich im Wasser verteilten
wie Blut.
    Nein, Nein, Nein! Er sollte vergessen!
    Entschlossen schüttete Gunnar den heißen Tee über die
Stiefmütterchen, die Sille ihm auf der Schräge vor seiner Terrasse gesetzt
hatte, stand auf und begann, hin und her zu laufen.
    Er wollte den Spiegelsee nicht mehr sehen. Die Brise hatte sich
sowieso zu einem Wind ausgewachsen, der die Wasseroberfläche kräuselte. Kein
Spiegel mehr, sondern ein schwarzes Loch, von hier oben gesehen beinahe
durchsichtig. Wenn der Himmel richtig schwer und dunkelgrau war, dann konnte
man

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