Die rote Halle
manchmal das verrottende Laub am Grund des Teichs erkennen, grüne Pflanzen
und dicke, silberne Fische. Das war nicht gut.
Und das da war auch nicht gut. Nämlich,
dass die Hinkebein da drüben am andern Ufer herumlief, die mit den schiefen
roten Schuhen. Trug Spaten und Zeug da hinten in die Büsche rein. Eimer. Zeug.
Was wollte die hier, die gehörte hier nicht her! Er wusste genau, wer
hierhergehörte, nämlich keiner auÃer ihm. Und die jedenfalls gar nicht. Die
sollte hier besser nicht rumschnüffeln, sonst musste er es Hanno sagen, und das
war dann auch nicht gut.
Gunnar huschte so schnell und geduckt in seine Hütte, wie er konnte,
riss die Klappe über dem Polsterbett auf und zog heraus, was ihm entgegenkam.
Da hinten, da war es, das alte Armeefernglas von seinem Vater. Das war noch
einwandfrei, das war noch beste Wertarbeit, und es roch wie zu Hause, nach Filz
und Leder, als er es aus seinem rot-schwarzen Etui zog, so heftig, dass das
schmale, vom Alter mürbe gewordene Lederband riss, mit dem man es sich um den
Hals hängen sollte. Verdammt.
Als Gunnar wieder drauÃen stand, das Fernglas eingerichtet hatte,
musste er sich bemühen, still stehen zu bleiben, nicht hin und her zu wackeln,
um sich Erleichterung zu verschaffen, denn dann wackelte das Bild mit und er
sah nichts mehr.
Da kam sie schon wieder zwischen den Büschen durch, sah sich um, wie
jemand, der etwas zu verbergen hatte, Gunnar war sich ganz sicher, er wusste
genau, wie man dann aussah, weil er sich im Spiegel angeguckt hatte.
Sie kam her. Nein. Sie blieb stehen. Sie ging zum Teich, blieb am
Ufer stehen. Ein Fratzengesicht mit einem Maul wie aufgemalt, und die Augen so
starr. Und die starrten aufs Wasser, starrten genau dahin, wo man nicht
hinstarren sollte, wo man vergessen sollte.
Gunnar begann zu wimmern, als sie einen weiteren Schritt machte, als
das Wasser ihre Schuhe benetzte, als sie sich auf den Hintern setzte, ins Gras,
und die Schuhe auszog und mit ihrem Hinkebein ins Wasser ging, der Rock
flatterte um ihr Krüppelbein, der Wind wurde schon wieder stärker, sie hob ihn
hoch, ging noch weiter rein, und noch ein Stück, so weit, dass ihr das Wasser
bis zum Hintern hochging. Halt! Keinen Schritt weiter, oder ich schieÃe! Es
würde reichen, wenn er es ganz leise sagte, so nah war sie in seinem Glas.
»Keinen Schritt weiter. Bitte.«
Als sie sich tatsächlich umdrehte und zurück ans Ufer stapfte, stieÃ
er erleichtert die Luft aus. Er hatte es keinen Augenblick zu früh gesagt.
Aber er lieà sie sicherheitshalber trotzdem nicht aus den Augen,
nicht, als sie sich die Schuhe anzog, nicht, als sie den Weg um den Teich herum
und die Steinplattentreppe heraufkam. Dann wurde das Bild unscharf, er senkte
das Glas, und da war sie, plötzlich wieder weit weg, aber zugleich auch schon
ganz nah, wenn sie in seine Richtung guckte, würde sie ihn sehen können. Gunnar
duckte sich hinter einen spitzen Thuja, aber sie sah nicht in seine Richtung,
sie verschwand in dem schmalen Pfad zwischen den Hecken, Gunnar hörte das
Eisentor quietschen und dann wieder zukrachen, und dann einen Motor, der
gestartet wurde, ein Auto, das wegfuhr.
Gunnar wischte sich den Schweià von der Stirn. Das war knapp. Verdammt.
Er würde dort unten nach dem Rechten sehen müssen, er würde aufpassen müssen,
so wie Hanno es ihm gesagt hatte.
Solange Sille ihm seinen Tee nicht brachte, würde er ohnehin nicht
vergessen können. Er würde einfach immer wieder nach dem Rechten sehen, jeden
Tag und jede Nacht, wie ein richtiger Wächter, seine Runden machen, immer
wieder die Runde machen. Bis Hanno zurückkam und ihn ablöste und selbst nach
dem Rechten sah.
TAG 11 â ERINNERUNG
»Ich wüsste nicht, was ich ohne dich täte, Janina.«
DeeDee schob die Hüfte vor und lieà sich die Treppenstufen eher
hinunterkippen, als dass sie richtige Schritte machte. Hüfte vor, Stock
aufstützen, fallen lassen, Hüfte vor, Stock aufstützen, fallen lassen, jeder
Schritt hallte von den polierten Steinplatten wider und schien den Geruch nach
Alter und Schwere aufzuwirbeln, der in den Wänden hing.
Janina trug die Schüssel mit den Erdbeeren in die Bettenhauslobby
hinunter und fragte sich, ob sie sie loslassen würde, um DeeDee aufzufangen,
falls sie stolpern sollte. DeeDee oder die Erdbeeren?
Janina drückte die Schüssel fester an ihren Bauch. Was für
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