Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
Vom Netzwerk:
Plattenweg hinunter am Teich
und einigen Hütten vorbei zu einem Schuppen, der tiefer im Gelände und
sichtgeschützt zwischen Büschen und Bäumen stand. Sie hatte ihn sich ausgesucht,
weil er offensichtlich von niemandem mehr benutzt wurde. Um den Schuppen herum
lagen Bretterstapel, alte Paletten, ein Haufen Pflastersteine, eine
ausrangierte Toilette, kaputte Fahrräder und Spielzeug, wahrscheinlich lud
jeder, der zu faul war, um zum Sperrmüll zu fahren, seinen Kram hier ab. Aber
das störte nicht weiter. DeeDee lehnte den Spaten neben die Tür, stellte die
anderen Sachen dazu und öffnete das Vorhängeschloss, das sie angebracht hatte.
    Das Sonnenlicht draußen war so hell, dass sie im Halbdunkel des
Schuppens zunächst gar nichts sehen konnte, und einen bangen Moment lang dachte
sie, er wäre leer. Doch als sie sich vorantastete, sah sie ihn: Janinas Sohn
lag immer noch genau da, wo sie ihn zurückgelassen hatte. Alles in Ordnung.
DeeDee brachte die Sachen rein, verschloss die Tür und kehrte zum Flughafen
zurück.
    Janina stieß die Kaffeetasse um, die sie auf dem Bügeltisch
abgestellt hatte, als das Handy in ihrer Hosentasche zu vibrieren begann. Der
kalte Bodensatz ergoss sich über DeeDees Wickelhose. Bitte, dachte sie, bitte,
und dann durchströmte sie ein tiefer, befreiender Atemzug.
    Sie haben eine neue Nachricht von Simon Handy .
Sie konnte die Worte kaum lesen, so sehr zitterten ihre Hände.
    Mami, sei nicht böse, für mich ist Joe ein
beschissener Kinderficker, und ich will nicht mit Dir reden, solange Du noch
für ihn arbeitest. Lass mir Luft! DeeDee passt auf mich auf. Hab Dich lieb. S.
    Janina starrte auf das Display, auf die gestochen scharfen
Buchstaben. Wann hatte Simon sie zuletzt Mami genannt? Und dann schoss ihr ein
Bild durch den Kopf. Wenn sie an das Ereignis dachte, das dazugehörte, dachte
sie niemals an dieses flüchtige, abschließende Bild. Doch jetzt nahm es eine
andere Dimension an, und seine Vorgeschichte schrumpfte zu einer harmlosen
Episode zusammen.
    2006, Berliner Tiergarten. Josef, Janina und Simon.
Streichelgehege. Ziegen, Schafe, fette, graue, faltige Schweine, die
hässlichsten Tiere, die Janina sich vorstellen kann. Simon und Josef lachen
sich kaputt über die Viecher. Janina legt die müden Füße auf eine Bank, beißt
in ein belegtes Brot. Josef kommt herüber, immer noch bebend vor Vergnügen.
    Â»Ich glaube, ich habe meine direkten Vorfahren gefunden. The missing link.«
    Janina lacht mit.
    Â»Willst du auch ein Brot? Käse oder Schinken?«
    Â»Ich stehe auf Kannibalismus. Gib mir Schwein.«
    Janina reicht Josef ein in Alu verpacktes Brot.
    Â»Simon, du auch?«, ruft sie.
    Keine Antwort. Ein schneller Blick in die Runde.
    Simon ist nicht mehr bei den Schweinen. Er ist auch nicht bei den
Schafen und Ziegen. Er ist auch nicht beim Eiskiosk auf dem Weg zum Affenhaus.
    Â»Er ist bestimmt nicht weit«, sagt Rost kauend.
    Janina ist aufgestanden, dreht sich im Kreis, versucht, ihre Augen
überall zu haben. Zu viele Menschen hier, da kann man leicht jemanden
übersehen. Sie geht den Platz ab, einmal das ganze Rund, guckt unter die Büsche
zu den Gänsen und Hühnern, guckt bei den Meerschweinen und auf dem
Babyspielplatz.
    Â»Keine Panik«, sagt Josef. »Geh du zur Kindersammelstelle. Ich warte
hier, falls er wiederauftaucht.« Er wischt sich die fettigen Hände an der Hose
ab.
    Die Frau bei der Sammelstelle ist eine gelangweilte Blondine. Wenn
Simon hier auftaucht, wird sie Janina ausrufen lassen. Mehr kann sie nicht tun.
    Dann fallen Janina die Toiletten ein, sie rennt den ganzen Weg
zurück, zum WC-Haus neben dem Streichelzoo, zögert nur einen winzigen Moment,
bevor sie die Herrentoilette betritt.
    Â»Simon!«
    Ihre Stimme wird schrill von den gekachelten Wänden zurückgeworfen.
    Â»Mami?«
    Janina fühlt sich wie ein Luftballon, aus dem die Luft gelassen
wird. Josef steht neben ihm vor den Pissoirs, mit geöffneter Hose, pinkelt.
    Janina drückt Simon an sich.
    Â»Du musst uns Bescheid sagen, Simon! Wir dachten schon, du bist
weggekommen!«
    Simon schmollt ein bisschen.
    Â»Mir war schlecht, ich hatte keine Zeit zum Bescheidsagen.«
    Â»Hast du dich übergeben?«
    Â»Nein.«
    Janina fühlt seine Stirn. Kalt und klebrig.
    Â»Hast du was Falsches gegessen? Vielleicht das Softeis?«
    Simon zuckt die Achseln.
    Â»Geht’s

Weitere Kostenlose Bücher