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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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Gefühl, zu
erblinden. Er hätte vielleicht nicht ohne Hilfe von der Bühne fallen und zu seinem
Stammplatz in der ersten Reihe kriechen sollen. Er hätte vielleicht lieber auf
Janina warten sollen. Aber war sie das überhaupt wirklich? Ihr Gesicht sah ungewohnt
aus, viel zu hart und eckig.
    Â»Was soll das heißen?«, fragte er noch einmal. »Wieso kommt er
nicht? Hat wohl ’n Arsch … «
    Rost hielt inne. Er hatte auch Schwierigkeiten mit seiner Zunge, zu
groß, zu schwer im Mund. Wie war er eigentlich hierhergekommen? Ach so,
Picknick. Sekt. Er schüttelte den Kopf, und Janinas Gestalt waberte vor ihm hin
und her, als sei sie aus Flutschi oder Slimy geformt.
    Â»Wer nicht zur Probe kommt, fliegt«, murmelte er.
    Â»Vielleicht legt er es gerade darauf an? Vielleicht hat er keine
Lust, dich krepieren zu sehen?«
    Wie konnte sie so etwas … wie konnte sie es wagen!
    Rost wollte sie stillschreien, sie aus dem Blick schubsen.
    Aber er saß auf seinem Stuhl wie festgeleimt, und der Versuch
aufzustehen führte zu nichts weiter als ein paar zusätzlichen
Schweißausbrüchen, die seine Kopfhaut jucken ließen. Er konnte nicht einmal den
Arm heben, um sich zu kratzen.
    Â»Scheißegal«, stieß er hervor. »Könnt alle gehen. Alle. Außer DeeDee
und Dave. Hol mir die!«
    Ihm fehlte sogar die Luft zum Sprechen, und er fragte sich, ob er
überhaupt verstanden worden war oder ob Janina auch bloß so ein feuchtes
Zischeln aus seinem Mund gehört hatte. Jedenfalls reagierte sie nicht auf seine
Anweisung.
    Â»Losss, verpisssen! Alle!«
    Mit einem Anflug von Zufriedenheit sah er zu, wie Leute aus seinem
Fokus in das milchige Blind am Rand seines Gesichtsfeldes verschwanden. Er
hatte gar nicht gemerkt, wie die reingekommen waren. Wer war das eigentlich
alles? Waren sie jetzt weg, oder drückten sie sich an den Rändern der Halle
herum, wo er sie nicht sehen konnte? Rost bewegte vorsichtig den Kopf, verschob
den Fokus, bis er alle Ecken der Halle gescannt hatte. Okay. Niemand mehr da.
    Nur DeeDee war plötzlich da, auf der Bühne, mitten drauf, lächelte,
machte sich warm. Gutgutgut. Er musste näher ran, damit er besser sehen konnte.
Zu Janina sagte er:
    Â»Dave ssoll sseinen Arschch herschchwingen.«
    DeeDee hatte kurz nach Janina die Halle betreten, wortlos
hatte sie ihre Kamera aufgebaut und war auf die Bühne gegangen, um mit ihren Verrenkungen
anzufangen. Janina schaute weg. DeeDee fehlte jedes Bewegungstalent, und sie
wusste es nicht. Wie konnte man eine solch verschobene Realitätswahrnehmung
haben, und wie verschoben war ihre Welt eigentlich, wenn es um andere Dinge als
das Tanzen ging?
    Und mit Rost stand es auch nicht besser. Er kroch auf allen vieren
auf der Bühne herum, drohte ständig, vornüberzukippen und stierte DeeDee wütend
an, als ob er ihr bis auf die Knochen schauen wollte, während ihre beklemmende
Musik sich durch die weite, leere Halle quälte. Rost drehte sich zu ihr um:
    Â»Ich habe gesagt, Dave soll seinen Arsch herschwingen!«, zischte er
Janina an.
    Doch sie dachte nicht daran, loszulaufen, um Dave zu suchen.
    Noch nicht.
    Â»Hey!«, rief sie stattdessen laut und mit einer Schärfe in der
Stimme, die ihr selbst Mut machte.
    DeeDee hielt inne, stemmte die Hände in die Seiten, drehte sich zu
ihr um, beinahe wie ein Cowboy, bereit zu ziehen. Janina hatte ihr gedroht, und
DeeDee verströmte Wut aus jeder Pore. Janina hatte das Gefühl, zum ersten Mal
wirklich ihr Gesicht zu sehen. Da war nichts von der Zugewandtheit und
Freundlichkeit, die sie bisher gezeigt hatte. Stattdessen sah sie verkniffene
Lippen, schmale Augen. Hass. Aber darauf kam es nicht an, jetzt nicht mehr.
    Janina ging direkt auf Rost zu, machte den großen Schritt die Bühne
hinauf, blieb vor ihm stehen. Blickte auf ihn runter, und Rost wirkte wie ein
Tier, das auf Prügel wartete.
    Â»Steh auf.«
    Sie musste ihm helfen, so wackelig war er auf den Beinen.
    Erst, als er auf Augenhöhe vor ihr stand, sprach sie es aus, ohne
Zittern in der Stimme, ohne Angst vor seiner Antwort, denn nichts konnte
schlimmer sein als die Ungewissheit.
    Â»Hast du meinen Sohn gefickt?«
    Rost schwankte ein wenig, fing sich dann wieder. Endlich löste sich
sein stierer Blick in wirkliches Schauen auf. Er sah sie an, sah Janina in die
Augen, und ohne den Blick von ihr abzuwenden, ohne Alkohol und ohne Lispeln
sagte

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