Die rote Halle
zu. Das musste sie
verhindern, es dauerte doch nicht mehr lange bis zur Premiere. Halb blind
tippte sie ihre Antwort:
Wenn der Scheià hier vorbei ist. S.
Die Antwort kam keine dreiÃig Sekunden später:
Ich schmeiÃe den Job!
DeeDee seufzte. Das wäre wirklich eine Wohltat. Aber es ging
natürlich nicht, weil noch immer kein Simon wiederauftauchen würde, und dann
würde Janina wirklich zur Polizei gehen. Besser, sie hinzuhalten. So lange, bis
das Stück lief. Bis Dave sein Versprechen gehalten hatte. Danach wäre alles
egal, dann wäre ihr alles recht.
Das Handy klingelte, sie hatte schon damit gerechnet. DeeDee drückte
den Anruf weg. Viermal hintereinander. Dann kam wieder eine SMS, es war der
reinste Terror.
Ich habe DeeDee gesagt, dass ich zur Polizei
gehe, heute noch, wenn sie mich nicht zu Dir bringt. Und Josef ist tatsächlich
ein Kinderficker.
DeeDee biss sich in den Finger. Sie musste etwas unternehmen. Sie
musste schnell etwas unternehmen, sie brauchte eine Idee, und bis dahin musste
sie Janina hinhalten.
Bitte, sei nicht so theatralisch, ja? Wenn es Dir
so wichtig ist, kann DeeDee Dich ja morgen mitbringen. Dann können wir von mir
aus reden. S. P.S.: Ich mache das Handy jetzt aus. Du nervst nämlich.
Janina war wirklich eine schreckliche, klammernde, kontrollsüchtige
Mutter. Der arme Junge konnte einem leidtun. Sie steckte das Telefon zurück in
die Handtasche und holte stattdessen den Cutter aus dem ReiÃverschlussfach, in
dem sie auch den Blutstiller aufbewahrte. Sie brauchte das jetzt. Nur ein
bisschen. Nur damit sie klarer denken konnte.
Sie setzte sich in Unterhose auf den Klodeckel, fuhr die Klinge des
Cutters ein Stück weit heraus und begann damit, das kranke, linke Bein zu
bearbeiten. Sie reinigte es, holte heraus, was immer wieder schmerzte, nach all
den Jahren noch schmerzte, lieà den Druck ablaufen. Das Blut fing sie mit einem
zusammengefalteten Stück Klopapier auf. Sie hatte keine Lust, hinterher zu
putzen.
Als das erste dünne Rinnsal zu versiegen begann, schnitt sie nach,
tiefer, sie musste die Zähne zusammenbeiÃen, um nicht laut zu stöhnen, und dann
liefen auch Tränen über ihre Wangen, und das tat gut.
Sie wusste, jetzt war der richtige Moment aufzuhören, wenn sie nicht
wollte, dass es aufzufallen begann. Wenn sie zu tief schnitt, musste sie damit
zum Arzt gehen, um es nähen zu lassen, und dann würde man ihr Fragen stellen,
Fragen, die sie schon kannte. Und sie würde nicht noch einmal in die
Geschlossene gehen. Nie wieder, das war vorbei! Sie musste jetzt nur aufhören,
damit sie nicht zu tief schnitt.
Nur ein bisschen noch, ganz vorsichtig. Sie konnte einen Verband
anlegen. Das würde sogar zum Stück passen, das wäre gar nicht verkehrt. DeeDee
atmete tief durch und setzte den Cutter noch einmal an, ein paar Zentimeter
weiter unten, tiefer, und das Blut quoll in dicken, dunkelroten Tropfen hervor,
die schwollen und überliefen und in mehreren Bahnen heià an ihrem Bein
hinabrannen.
Die Augen halb geschlossen, lieà sie es diesmal auf den Boden
laufen, sah zu, wie die Tropfen ineinanderliefen, lehnte den Kopf gegen die
Duschabtrennung und wünschte sich zum ersten Mal seit Jahren eine Zigarette.
Dabei hatte sie direkt nach ihrem Unfall mit dem Rauchen aufgehört,
war seitdem nicht ein einziges Mal mehr auf den Gedanken gekommen, eine
Zigarette zu wollen. Die letzte Zigarette, die hatte sie nach der
Premierenfeier der Cenerentola geraucht ⦠DeeDee
schloss die Augen. Das Blut lief seit so vielen Jahren. Sollte es weiterlaufen,
bis sie die Besinnung verlor. So wie damals. Genau wie damals â¦
1996, Premierenfeier La Cenerentola .
»Bitte, bring mich nach Hause«, sagt DeeDee und legt die Hände an
die Schläfen. Sie muss die Migräne nicht spielen, um Dave von den anderen
Gästen loszueisen. Sie hat tatsächlich rasende Kopfschmerzen, seit sie aus dem
Bad heruntergekommen ist, mit frisch gewaschenem, aber noch nicht ganz trocken
geföhntem Haar.
Sie hat schnell nacheinander einige Gläser Sekt getrunken, hat sich
hier und dort dazugestellt, hat geplaudert und geflirtet, wie es sich gehört,
aber die Kopfschmerzen sind immer schlimmer geworden, und schlieÃlich hat sie
sich zwei Aspirin von Marianna geben lassen. Aber die helfen auch nicht,
scheinen die Sache eher noch schlimmer zu machen.
»Bitte, Dave. Mir geht es wirklich nicht gut. Ich brauche
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