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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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dich
jetzt.«
    Dave macht eine ungeduldige Kopfbewegung. Begreift er denn nicht,
dass es ihr ernst ist. Sie ist fertig, sie hatte einen verdammt harten Tag und
ihr ganzes Leben lang noch nicht solche Schmerzen.
    Â»DeeDee, das hier ist die Premierenfeier. Ich kann mich nicht
einfach davonstehlen. Du schon mit deiner Nebenrolle, aber ich doch nicht.«
    Für diese Bemerkung möchte sie ihn am liebsten ohrfeigen. Als ob man
ihr nicht ohnehin schon genug das Gefühl gibt, nicht so wichtig zu sein.
    Â»Hör zu, fahr nach Hause.« Er nimmt ihren Sommermantel von der
Garderobe und drängt sie zur Tür. »Ich verspreche, dass ich später nachkomme.«
    DeeDee kann kaum laufen vor Schmerzen, aber er schiebt sie gnadenlos
weiter zu ihrem kleinen, schwarzen Golf. Er will sie loswerden. Und dann spürt
sie seine Lippen an ihrem Ohr, und ein Schauer läuft an ihrem Hals hinab. Seine
Hände liegen auf ihrem Hintern, und sie will mehr.
    Â»Und dann massiere ich dir den Kopf und den Nacken und alles, was du
sonst noch möchtest. Das ist die beste Medizin gegen Kopfschmerzen.«
    DeeDee dreht den Kopf und küsst Dave, hart und fordernd, und er
küsst sie ebenso zurück. Und dann schiebt er sie von sich.
    Â»Fahr jetzt, ich muss wieder rein.«
    Gut. Sie wird fahren. Sie dreht ihm den Rücken zu, in dem
Bewusstsein, dass er sie anschaut, sie bewundert. Jeder Mann tut das. Außer er
ist schwul. Und selbst Schwule beten sie an. Sie weiß, was sie zu bieten hat.
    Als sie vom Parkplatz fährt, ist Dave schon wieder hineingegangen.
Sie öffnet das Fenster, lässt sich Wind um den pochenden Schädel wehen. Im
Autoradio läuft Forbidden Colors . Sie liebt das
Stück, die Kopfschmerzen lassen ein wenig nach, sie kann sogar lächeln. Sie
fühlt sich wie eine Geisha, die ihrer wahren Liebe begegnet ist, in dem Wissen,
dass sie ihn niemals besitzen wird, denn sie leben in verschiedenen Welten.
Immer wieder hat sie ihn voller Sehnsucht von ferne betrachtet, und er sie, und
heute, heute Nacht werden sie sich zum allerletzten Mal lieben, bevor er in ein
fernes Land zieht. Vielleicht in den Krieg …
    DeeDee fährt rechts raus auf den Berliner Ring und seufzt, kurbelt
das Fenster noch weiter hinunter, während sie beschleunigt, lässt sich bei
hundertachtzig Stundenkilometern vom Fahrtwind die Haare um den Kopf peitschen.
Sie drückt den Zigarettenanzünder rein, und während er aufheizt, beugt sie sich
nach rechts, um eine Zigarette aus dem Handschuhfach zu fummeln.
    Plötzlich zittert sie vor Aufregung, weil ihr bewusst wird, dass
heute geschehen wird, worauf sie seit Wochen hinarbeitet. Heute Nacht ist es so
weit. Dave wird zu ihr kommen, er wird mit ihr schlafen. Nachdem er die halbe
Welt gefickt hat, wird er endlich zu ihr kommen und begreifen, dass er sonst
nichts mehr braucht auf der Welt. Sie werden zusammen sein. Und dann hat sie
ihn. Dann ist der Weg zu den Sternen frei.
    Ihr Ohr ist direkt neben dem Radio, als sie die Schachtel mit den Mentholzigaretten
endlich spürt und hervorzieht und das Lied zu Ende ist und der Lokaltratsch
kommt.
    Und das hier ist ganz aktuell. Eben gerade haben
sich auf der Premierenfeier zu Josef Rosts La Cenerentola der Prinz und das Aschenputtel auch im wahren Leben gefunden.
Dave Warschauer und Marianna Bergmann haben sich verlobt. Herzlichen
Glückwunsch den beiden Stars.
    Beinahe verreißt DeeDee das Steuer. Aber nur beinahe.
    Sie richtet sich kerzengerade auf, den Blick auf die fast leere
Autobahn gerichtet. Der Zigarettenanzünder springt heraus, und DeeDee steckt
sich die Zigarette an, saugt hektisch die Mischung aus Kühle und Tabak in ihre
Lungen.
    Sie wünscht sich, dass es ein schlechter Scherz ist. Aber es ist
keiner. Sie weiß es. Sie ist diesem Schwein auf den Leim gegangen, wie so viele
andere vor ihr.
    Aber so einfach wird er nicht davonkommen. Er hat ihr etwas
versprochen. Und das Versprechen wird er halten. Koste es, was es wolle.
    DeeDee tritt aufs Gas, schneller, sie muss endlich ankommen, endlich
da sein, um etwas zerschlagen zu können, etwas zerbrechen zu können, denn wenn
Dave sie zerbricht, dann muss sie ihn zerbrechen, und sie wird ihn zerbrechen,
irgendwie, und darum tritt sie noch stärker aufs Gaspedal, zweihundertdreißig
jetzt, mehr gibt der Golf nicht her, und dann kommt endlich die Abfahrt
Pankow/Weißensee, und sie reißt das Steuer nach rechts, ohne vom Gas zu

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