Die rote Halle
mädchenhaft vor Begeisterung und klatschte in die
Hände.
»Wahnsinn! Ihr seid ja verrückt!«, rief sie und strahlte übers ganze
Gesicht.
Die Torte war ganz in Weià mit einer Passage aus Reading
Red Shoes in schwarzer Notenschrift einmal um den Rand herum, und sie
duftete intensiv nach Zitrone. Janina wollte sich gar nicht vorstellen, was sie
gekostet hatte.
Plötzlich riss Rost sich zusammen, plötzlich war da wieder Feuer und
Strenge in den Augen. Er hob den Arm wie ein Feldwebel, und alles blieb stehen.
»DeeDee. Für dich«, sagte er schlicht, zählte auf drei, und dann
sangen sie zusammen ein zweistimmiges Geburtstagslied, etwas Spanisches, das
Janina nicht kannte und verstand, und DeeDee lachte und zeigte zum Abschluss
ein paar unbeholfene Flamenco-Posen.
»Danke! Ach, ihr seid so toll! Ich liebe euch alle! Setzt euch,
nehmt euch Sekt!«
Janina wischte sich die Tränen aus den Augen. Wenn jemand Grund
hatte, gerührt zu sein, dann DeeDee, nicht sie. Aber es fühlte sich jetzt auch
nicht mehr wie Rührung an, sondern eher wie eine Art Reue. Weil sie und Simon
immer sehr schlicht gefeiert hatten, ohne jede Opulenz, ohne Kitsch. Ihren
eigenen Geburtstag feierte sie praktisch nie, und Simon bekam normalerweise
ganz genau das, was er sich vorher gewünscht hatte. Es gab keine
Ãberraschungen, keinen Zauber. DeeDees Getue war Janina peinlich. Aber
vielleicht nur, weil Janina ein Problem damit hatte, selbst überschwänglich zu
sein und Gefühle zu zeigen. Oder vielleicht hatte sich in ihr einfach immer
mehr ScheiÃe angesammelt, und die lief dann halt irgendwann mal oben raus.
Janina putzte sich mit einer Serviette die Nase und setzte sich ein
wenig abseits. Sie hatte keine Lust, sich zu unterhalten, hatte nicht die Kraft
für allgemeine Fröhlichkeit. Josef Rost hatte sich ein paar Meter weiter ins
Gras gesetzt und hielt in der einen Hand eine Sektflasche, in der anderen einen
Plastikkelch. Sie überlegte, zu ihm zu gehen und die Gelegenheit zu nutzen, das
Gespräch von gestern fortzusetzen, mehr zu erfahren. Vielleicht war er heute
ein wenig mehr bei Sinnen.
Doch dann stand plötzlich Dave neben ihr, hoch aufragend, den Kopf hundert
Meter weit weg im Blätterdach der Birken.
»Schön heute, nicht?«, sagte er.
Janina stand auf wie ein Sack, der sich am eigenen Kragen auf die
FüÃe hieven muss.
»Ja, schön.«
Mehr als das und zu lächeln fiel ihr nicht ein.
Dave prostete ihr zu, und als Janina sich bückte, um ihren Kelch
aufzuheben, stellte sie fest, dass er im Gras umgefallen war.
Dann war DeeDee auch da und legte Janina einen Arm um die Taille.
»Ja, wunderwunderschön! Mindestens so schön wie damals, zu Cenerentola -Zeiten. WeiÃt du noch, Dave?«
Janina zuckte innerlich zusammen. Das war kein gutes Thema.
Was, wenn Dave doch noch darauf kam, wer sie war? Der Gedanke
erschreckte sie, und zugleich sehnte sie sich immer noch danach. Wenn sie so
unbefangen sein könnte wie DeeDee, dann wäre es nicht schlimm. Dann würde sie
vor ihm stehen, in ihrer vollen GröÃe und Breite und dazu stehen, wer sie war
und was aus ihr geworden war. Wie schaffte DeeDee es, trotz ihrer Entstelltheit
so viel Selbstsicherheit auszustrahlen?
Vielleicht weil sie für ihren Unfall nichts konnte, weil ihr
Aussehen nichts mit ihrer eigenen Unfähigkeit zu tun hatte. Janina hingegen war
für ihr Aussehen ganz allein verantwortlich. Es hatte etwas mit ihr zu tun,
damit, wer sie wirklich war. Was ihr fehlte, war die längst überfällige Anerkennung.
Und da biss sich die Katze in den Schwanz. Wie sollte Dave sie anerkennen, wenn
sie es selbst nicht tat? Und eine Erklärung für sein Verhalten brauchte sie
nicht mehr. Die hatte sie längst.
»Ach, was haben wir damals durcheinandergevögelt!«, sagte DeeDee gut
gelaunt. »Dagegen ist diese Inszenierung hier das reinste Kloster. Soweit ich
weiÃ, hat noch niemand Sex gehabt, seit wir hier sind, oder?«
Dave zog einen Mundwinkel hoch. »Ich gucke normalerweise nicht mehr
in die Schlafzimmer, um das zu überprüfen. Wir werden alle älter und weiser.«
»Ach, Quatsch!« DeeDee lachte lauthals. »Das ist nur Faulheit.
Damals hast du jedenfalls nichts verschmäht, was zwei Beine hatte.« Sie
zwinkerte Dave zu.
»Ich nehme an, ich hatte selbst einfach zu oft ein Bein zu viel«,
sagte er gelassen, und Janina war froh,
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