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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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war
immerhin verdächtig, wenn so viele Polizisten regelmäßig im Eldorado waren und noch niemand etwas bemerkt haben wollte. Und Krissie hatte
auch das Tagebuch und den Kaffee dabei, als sie Helge in der Bettenhauslobby
traf. Er ließ den Automatenkaffee stehen und schenkte sich großzügig von
Krissies Kaffee ein, der mindestens doppelt so heiß und stark war.
    Er nahm einen Schluck und seufzte erleichtert. Ab jetzt würde es
besser gehen.
    Â»Krissie, danke.«
    Â»Und nun?«
    Â»Versuch, die Besetzung dieses Tanzstücks zusammenzutrommeln. Alle,
die mitarbeiten, während ich das hier lese, ja?«
    Er klopfte auf das Tagebuch, und Krissie zog weiter, ohne Fragen zu
stellen oder sich zu beschweren, dass sie die ganze Zeit herumgeschickt wurde.
Sie war mit Abstand der beste Lehrling, den er je gehabt hatte. Aber nicht,
weil sie hirnlos Anweisungen befolgte, sondern weil sie kapierte, was sie tat
und warum.
    Helge schlug das schwarze Tagebuch mit den welligen, knisternden
Seiten auf und inhalierte den Geruch nach Papier, der sich mit dem Kaffeeduft
und dem muffigen Geruch nach verkratztem Kunststoff und billigen Putzmitteln
mischte, der vom Tisch aufstieg.
    Er ließ die Seiten durch die Finger gleiten und las willkürlich hier
und da einige Sätze, fand aber auf Anhieb nichts, was ihm im Zusammenhang mit
diesem Fall wichtig erschien. Bis er beim letzten Eintrag in der Mitte des Buches
hängen blieb.
    Ich bin so froh, dass ich dieses Stadium hinter
mir habe. Nie mehr Pubertät, nie mehr Pickel, nie mehr dieser perverse
Körpergeruch. Ich hasse Kinder, ich kann mit ihnen nichts anfangen.
    Aber dieses Kind war schön. Schwarzes Haar,
irgendwie zu große Hände, eine breite Brust. Goldene, glatte Haut.
    Ob Josef wusste, was uns erwartete? …
    Er hatte es gefunden. Mit einer Mischung aus Neugier und wachsendem
Abscheu las Helge den Eintrag zu Ende.
    â€¦ Keine Tanzkarriere. Kein Leben voller Schuld
und Scham.
    Helge ließ das Tagebuch auf die Knie sinken. Das war starker Stoff,
und das Buch fühlte sich speckig an, unanständig, aber die Worte waren
ordentlich, rund und beinahe kindlich mit blauem Kuli geschrieben. Helge legte
das Tagebuch auf den Tisch vor sich, nahm einen großen Schluck von dem
inzwischen fast kalten Kaffee, schüttelte sich.
    Dass Josef Rost pädophil war, wusste er ohnehin schon. Das hier
zeigte nur, dass er zumindest einmal auch zugegriffen hatte. Gut, das machte
einen gewissen Unterschied. Er musste Rost noch einmal konfrontieren. Er
brauchte eine Zeitleiste, um die Vorgänge zu rekonstruieren. Wann genau war er
im Eldorado gewesen? Wann war Simon verschwunden? Er
brauchte den Autopsiebericht. Helge lehnte sich in seinem Sessel zurück,
schloss die Augen. Nur zwei Minuten, um in Ruhe nachzudenken.
    Er öffnete die Augen wieder, als sich auf dem Teppich gedämpfte
Schritte näherten. Eine junge Frau, solargebräunt.
    Â»Sind Sie der Kommissar?«, fragte sie mit breiter, quakiger Stimme.
    Helge stand auf.
    Â»Kommissar Schulz, guten Tag. Und Sie?«
    Â»Ulli Hörn. Ich mach das Künstlerische Betriebsbüro. Wir haben jetzt
alle zusammen. Oben in der roten Halle. Ist ein bisschen verwirrend hier. Ich
zeige Ihnen den Weg.«
    Die Halle war schon recht voll. Die Leute sahen
verschlafen und verstört aus, niemand hatte damit gerechnet, heute zu arbeiten.
Wahrscheinlich waren alle lange aufgeblieben und hatten darüber spekuliert, was
mit ihrem Choreographen geschehen war.
    Auch Dave saß schon dort, ganz vorne, auf der Fensterseite. Er
winkte Janina zu, hatte ihr einen Platz frei gehalten und klappte nun mit der
flachen Hand einladend auf den Sitz neben sich.
    Janina fiel es nicht schwer, absichtlich an ihm vorbeizuschauen,
weil sie wusste, dass sie ihn in ihrem ganzen Leben nie wieder würde ansehen
können. Es war am besten, wenn sie nicht einmal mehr wusste, wer dieser Mensch
war.
    Â»Janina, hier!«
    Sie schob sich zwischen den Stühlen und der Bühne entlang bis zum
Mittelgang und reagierte nicht auf Daves Rufen. Sie überprüfte noch einmal, ob
ihr Handy an seinem Platz in der Hosentasche war, bevor sie sich in die letzte
Reihe setzte. Hier konnte sie allein und unbehelligt von anderen Blicken
beobachten, was vor sich ging, und ihre Entscheidungen treffen.
    Zuletzt kam Kommissar Schulz herein, begleitet von Ulli. Sie
stellten sich nicht auf, sondern vor die Bühne, Ulli flüsterte dem

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