Die rote Halle

würde ihm bald ohnehin
nicht mehr wehtun.
    Â»Wir warten hier«, sagte Dave.
    Der Kommissar nickte. Er hatte einen gequälten Ausdruck im Gesicht,
und entgegen jeder Vernunft fand Janina ihn in diesem Moment so
vertrauenerweckend und menschlich, dass sie ihm am liebsten alles erzählt
hätte.
    Â»Ich weiß, dass das alles nicht leicht für Sie ist. Halten Sie sich
einfach zur Verfügung. Ich rufe an, wenn wir Sie brauchen.«
    Dann verließ der Kommissar, das Handy schon wieder am Ohr, mit
langen Schritten die Kantine.
    Sobald die schwere Tür hinter ihm zugefallen war, schlug
Dave mit der Faust so fest auf den Tisch, dass der stehen gelassene, immer noch
fast volle Kaffeebecher des Kommissars einen Satz Richtung Tischkante machte.
Janina war versucht, ihm den letzten Schubs zu geben, um ihn in den Abgrund zu
stoßen.
    Ein kleiner, endgültiger Todesstoß. Vielleicht wäre das die beste
Idee. Sie würde dabei wenig Gewalt anwenden müssen, und sie würde nicht fühlen
müssen, wie der Körper starb.
    Dave legte eine Hand auf Janinas Hand.
    Â»Entschuldige.«
    Sie zog ihre Hand weg, ertrug seine Berührung nicht.
    Â»Entschuldige«, sagte er wieder. »Ich wollte dir nicht zu nahe
treten. Mir ist schon klar, dass wir nicht plötzlich ein Paar sein können.
Wahrscheinlich passen wir gar nicht zusammen.«
    Sie konnte ihn nicht ansehen. Sie durfte nicht.
    Â»Es ist nur …«, sagten sie beide gleichzeitig.
    Dann hielten sie inne.
    Maul halten!
    Die Stimme auf Janinas Mailbox klang ihr so deutlich im Ohr, als
stünde der Sprecher direkt neben ihr. Sie hatte die Nachricht mindestens
hundert Mal angehört in den letzten Stunden, und immer wieder zuckten die
Bilder zu den Worten in ihr auf, ohne dass sie sich dagegen wehren konnte.
    Das Handy, sie fühlt, wie es sich aus ihrer Hosentasche
schiebt, während Mageninhalt ihr sauer in der Kehle brennt. Das Licht des
Displays, das über die Wände zittert. Frauenbeine. Der gebrochene Hals, tote
Augen, offen, toter Mund, offen.
    Und dann hört das Handy auf zu klingeln. Dunkel.
    Und Janina lacht und lacht, wie ein irrsinniges Ungeheuer, das sich
über die eigene Bosheit freut. Haaahahahahaaa!
    Und dann: Sie haben zwei neue Nachrichten von
Simon Handy.
    Janinas Finger finden kaum die kleinen Tasten. Eine SMS, die liest
sie zuerst. Alles ist gut. Simon ist in Kanada, er ist zu Hause. Aus dem Lachen
wird Weinen. Erleichterung, Freudentränen.
    Und dann ist da noch die Sprachnachricht. Wenn sie jetzt noch seine
Stimme hört, dann wird sie zusammenbrechen, dann werden sie sie hier mit Roses
Leiche finden und Freudentänze aufführen. Janina heult und lacht und würgt
gleichzeitig, als sie sich das Handy ans Ohr drückt, um die Nachricht
abzuhören.
    Dave muss sterben. Dann kommt der Junge zurück.
Und Maul halten! Ich sehe Dich.
    Nicht Simon. Es ist Josef Rosts Stimme. Aber etwas stimmt nicht
damit. Er klingt wie ein Roboter. Er ist krank. Eine Krankheit, die sich durchs
Telefon überträgt, und jetzt hat er Janina angesteckt. Sie denkt nichts mehr,
sie fühlt nichts mehr, kein Lachen mehr, keine Tränen. Sie ist nur noch ein
kalter Automat mit einem Programm, das es auszuführen gilt. Ein Werkzeug. Dave muss sterben. Maul halten. Eine einwandfreie Befehlskette,
keine Frage bleibt offen.
    Janina steckt das Handy zurück in die Tasche und kriecht durch das
Gepäckleitsystem zurück ins Freie, immer schön einen Schritt nach dem andern,
Hand, Knie, andere Hand, anderes Knie, und dann einfach weitermachen.
    Janina war froh, dass sie nichts fühlte, dass der Automatenzustand
anhielt. Ohne ihn wäre sie durchgedreht und nicht in der Lage gewesen zu
denken. Und denken war wichtig.
    Â»Du hast doch gerade erst vor einer Minute von Rose erfahren«, sagte
sie zu Dave. »Wie kannst du jetzt schon wieder an eine Beziehung denken?«
    Sie musste Zeit gewinnen, musste nachdenken. Josefs Sätze hatten
abgehackt geklungen, wie nachträglich zusammengestückelt. Maul
halten! Das sagte Josef ständig, wenn er Ruhe verlangte oder nachdenken
musste. Und ich sehe dich war seine Floskel dafür,
wenn er die Leistung eines Tänzers oder Musikers anerkannte. Dave muss sterben. Das hatte er während der Proben sicher
hundert Mal gesagt. Dann kommt der Junge zurück. Daran
erinnerte sie sich nicht. Aber es passte, denn das war etwas, das im Stück
passierte. Aber