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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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passiert Ihnen nicht oft, oder?«
    Ja, er war stolz darauf, dass er so viel richtig machte.
    Â»Ich kann das gut.«
    Der Wikinger zog sich einen Stuhl ran und setzte sich neben Gunnars Bett.
    Â»Erzählen Sie, was Sie am besten können. Das interessiert mich.«
    Â»Ich kann vergessen.«
    Â»Was haben Sie denn vergessen?«
    Gunnar nahm seine Finger zur Hilfe, als er aufzuzählen begann.
    Â»Dass ich im Gartenhäuschen wohne. Den Jungen. Die Medizin. Hanno.«
    Â»Lebt der Junge auch im Garten?«
    Â»Oh, der lebt ja gar nicht mehr!«
    Â»Stimmt, das hatte ich vergessen.«
    Gunnar lachte, bis ihm die Rippen wehtaten. Das hatte er vergessen!
Der Wikinger war ein Spaßvogel.
    Â»Warum ist er denn tot?«, fragte der Wikinger, nachdem Gunnar sich
beruhigt hatte.
    Â»Hanno hat es mir nicht gesagt. Aber ich glaube, es ist wegen der
Medizin.«
    Â»Medizin.«
    Â»Medizin, damit man sich besser fühlt. Nicht so allein. Aber mir
gibt Hanno nichts davon. Er sagt, die ist nur für Jungen. Wenn sie viel arbeiten
müssen, werden sie traurig, und dann hilft die Medizin. Ich nehme dafür
Kamillentee. Der hilft immer.« Gunnar richtete sich auf und spähte an Helge
vorbei zur Zimmertür. »Ich hatte ja auch schon längst einen bestellt. Aber die
Schwester …«
    Â»Ich hole Ihnen gleich einen Kamillentee. Aber könnten Sie mir
vorher noch eine Sache sagen?«
    Gunnar war sich nicht sicher. Er kannte den Wikinger gar nicht, auch
wenn er netter war als gedacht. Jedenfalls nicht brutal. Vielleicht hatte er
ihm schon zu viel gesagt.
    Â»Was denn?«
    Â»Können Sie mir den Namen des Jungen sagen?«
    Â»Ich weiß nichts von einem Jungen, habe ich vergessen.«
    Â»Ach stimmt. Ich vergaß. Wie hieß er noch gleich?«
    Â»Kevin.«
    Â»Stimmt! Und weiter?«
    Gunnar wusste es nicht. Er hatte es noch nie gewusst, er war sich
ziemlich sicher, dass er es nicht bloß vergessen hatte. Als er mit den Händen
die Bettdecke auf seinem Schoß glattstrich, bemerkte er, wie weiß und durchscheinend
seine Haut war und wie dunkel die Venen darunter. Da kam die Medizin rein, und
er verzog das Gesicht beim Gedanken an die Spritzen. Er mochte keine Spritzen.
Und Kevin war Kevin.
    Â»Haben Sie vergessen, was ganz genau Kevin mit seiner Medizin
vergessen sollte?«
    Gunnar schüttelte den Kopf. Nein, er wusste es nicht. Komisch.
    Â»Und haben Sie vielleicht vergessen, wo der Junge wohnte oder ob er
zur Schule gegangen ist?«
    Dann fiel Gunnar etwas ein, und er war froh, dass er nicht mehr an
die Spritzen denken musste.
    Â»Keine Schule. Kevin arbeitet am Flughafen.«
    Â»Am Flughafen?«
    Gunnar nickte.
    Â»Gleich um die Ecke. Sehr praktisch, sagt Hanno. Da hat er es nicht
weit, nicht?«
    Â»Was hat denn Kevin dort gearbeitet?«
    Gunnar zuckte die Achseln. Woher sollte er das wissen? Warum wollte
der Wikinger das überhaupt alles wissen. War doch ganz egal, der Junge war doch
jetzt eh tot und konnte nicht mehr zur Arbeit gehen. Der Wikinger stand auf und
begann, hin und her zu gehen.
    Â»Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss jetzt gehen«, sagte er dann
knapp, und erst als er die Tür hinter sich schloss, fiel Gunnar wieder ein,
dass er ihm etwas versprochen hatte.
    Â»He, und was ist mit meinem Tee?«, rief er dem Wikinger hinterher.
    Er bekam keine Antwort.
    Irgendwie hatte er das Gefühl, ausgenutzt worden zu sein.
    Â»Habe ich was gesagt?«, fragte er die lindgrün tapezierte Wand neben
seinem Bett.
    Â»Ich habe nichts gesagt. Aber ein Toter gehört doch auch unter die
Erde und nicht ins Wasser. Also wirklich!«
    Als die Tür wieder aufging, kam endlich eine dicke Frau in flachen
Schuhen und brachte ihm Tee.
    Helge wollte nicht riskieren, rausgeworfen zu werden wie
ein Schuljunge, weil er beim Rennen auf den Gängen erwischt wurde, also bemühte
er sich, normal zu gehen. Er konnte nicht sagen, warum, aber er hatte das
Gefühl, dass ihm die Zeit davonlief.
    Viel hatte er nicht herausgefunden, er brauchte mehr Informationen,
und er wollte, dass sie die beiden Fälle zusammenbrachten, Kevin und Simon.
Heute noch. Aber vorher musste er mit Josef Rost reden.
    Das Zimmer war auf Station eins, Helge stieß die Glastür auf und
ging am Stationsschalter vorbei.
    Â»Halt!«, rief eine resolute Frauenstimme hinter ihm her.
    Helge drehte sich um. Eine dünne Frau mit hennaroten Haaren, strenge
Falten links

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