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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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und rechts vom Mund. Frühzeitige Lefzenbildung, dachte er und
bemühte sich zu lächeln.
    Â»Wo wollen Sie hin?«
    Â»Zu Josef Rost.«
    Helge kramte seinen Dienstausweis aus der Tasche und wollte ihn
vorzeigen, aber die Rothaarige sah gar nicht hin.
    Â»Der kriegt keinen Besuch«, sagte sie schlicht.
    Â»Ich bin Kommissar Schulz. Wenn Sie sich meinen Dienstausweis
    ansehen und in Ihren Unterlagen nachsehen wollen, stellen Sie sicher fest, dass …«
    Die Rothaarige wischte Helges Worte mit einer verärgerten
Handbewegung fort.
    Â»Sie warten hier. Ich frage, ob der Patient vernehmungsfähig ist.«
    Â»Aber das haben wir doch gestern schon telefonisch geklärt. Der
Besuch ist bereits verabredet. Nur darum bin ich hier.«
    Â»Sie warten.«
    Helge seufzte und gehorchte, während die Schwester davonmarschierte.
Der Schlafmangel schlug plötzlich als bleierne Müdigkeit zu, und er sah sich
nach einem Stuhl um. Aber der Gang war leer. Bis auf das regelmäßige Piepen und
Schnaufen einer Herzlungenmaschine war es unangenehm still, und es hing kein
einziges Bild im Flur, das Helge hätte betrachten können. Keine Zeitschriften,
keine Broschüren. Er stand in einem wie lackiert wirkenden Gang, mit
Neonlichtern unter der Decke, und alles war makellos weiß und tot.
    Als Helge das erste Mal auf die Uhr über der Stationstür schaute,
war es Viertel nach sieben. Beim zweiten Mal war es zweiundzwanzig Minuten nach
sieben. Und dann vierunddreißig Minuten. Es war offensichtlich, dass man ihn
warten ließ, und Helge machte sich auf die Suche.
    Die Rothaarige saß in einem winzigen Aufenthaltsraum, einen Becher
Kaffee vor sich auf dem Tisch, um den Helge sie aufrichtig beneidete.
    Â»Und? Was ist nun?«, fragte er.
    Wieder der strenge Blick, betont abschätzig.
    Â»Immer mit der Ruhe, das ist besser für den Blutdruck.«
    Â»Hören Sie, ich arbeite an einem Mordfall, und im Gegensatz zu Ihnen
stehe ich tatsächlich unter Zeitdruck. Würden Sie also bitte …«
    Die Rothaarige stand auf, wandte ihm den Rücken zu, während sie
ihren Becher ausspülte.
    Â»Und wir arbeiten hier daran, dass die Leute am Leben bleiben. Sie
können reingehen. Aber wehe, Sie verursachen irgendwelche Zwischenfälle.«
    Helge seufzte. »Danke. Noch eine Frage.«
    Â»Was?«
    Â»Könnte ich einen Kaffee bekommen? Der Automat unten …«
    Â»Kaffee ist alle.«
    Zumindest für Bullen, fügte Helge in Gedanken hinzu. Warum waren die
Leute in Krankenhäusern eigentlich oft so schlecht auf die Polizei zu sprechen?
    Für einen surrealen Moment hatte Helge den Eindruck, einer
Maschine gegenüberzustehen, die sich von der ausgetrockneten Hülle eines
Menschen ernährt. Eine Vampirmaschine, die ihre Schläuche und Drähte überall in
ihre Nahrung hineingegraben hatte. Rost hing am Tropf, seine Brust und sein
Schädel waren verkabelt, und der Pulsschlag des Monitors neben seinem Bett
klang nervös wie eine Zeitbombe, die jeden Moment in die Luft gehen konnte.
    Der Mann, der in dem Bett zwischen den Schläuchen und Kabeln lag,
war wach und bei Bewusstsein.
    Â»Guten Morgen, Herr Rost.«
    Helge streckte die Hand aus, und Rost griff zu. Er hatte erstaunlich
viel Kraft für seinen offensichtlich desolaten Zustand.
    Â»Kommissar Schulz. Ich müsste Ihnen einige Fragen stellen. Es geht
um einen Jungen namens Simon Zöllner. Fühlen Sie sich in der Lage dazu?«
    Josef Rost sah ihn wach an, nickte.
    Â»Sie wissen, dass der Junge verschwunden ist?«
    Â»Ja«, sagte Rost heiser.
    Â»Haben Sie eine Ahnung, wo er sein könnte?«
    Rost schüttelte den Kopf, schien es aber sofort zu bereuen, denn er
verzog schmerzvoll den Mund, seine Hand schnellte nach oben, drückte gegen die
Schläfe. Plötzlich blickten die Augen wässrig und trüb.
    Â»Ich muss Ihnen leider sagen, dass es einen Verdacht gegen Sie gibt.
Wissen Sie, wovon ich spreche?«
    Â»Sie wollen wissen, ob ich ihn gefickt habe. Sie wollen etwas über
den Kinderstrich wissen.«
    Helge nahm sich einen Stuhl, hob ihn hoch, damit er nicht laut über
den Fußboden schabte, und setzte ihn vorsichtig neben Rosts Bett ab.
    Â»Haben Sie?«
    Â»Nein.«
    Â»Erzählen Sie mir mehr.«
    Â»Ich habe den Jungen nicht angefasst. Aber ich habe ihn gesehen,
unten im Keller. Er wollte mir einen blasen. Ich habe ihm Geld gegeben,

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