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Die rote Schleife

Die rote Schleife

Titel: Die rote Schleife Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition zweihorn GmbH & Co. KG
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einem Satz auf den Hintern und blieb verdattert sitzen. Maximilian schüttelte den Kopf und sammelte seine Kräfte. Mühsam auf seine Fäuste aufgestützt erhob er sich und torkelte ins Bad. Seine glasigen Augen schauten ihn verschwommen aus dem Spiegel an. Diese leeren Augen, ohne Kraft und ohne Verstand. Hier und jetzt könnte er sich das Leben nehmen. Einfach Schluss machen mit seiner Misere. Diese Misere, die er nie gewollt hatte.
    Zitternd öffnete er den Spiegelschrank und nahm sich eine frische Rasierklinge. Er hatte es schon einmal im Fernsehen gesehen. Eine schnelle Bewegung, das Blut hatte gesprudelt und der Mann war wie ein nasser Sack zusammengefallen. Vorsichtig setzteMaximilian die Klinge auf die Haut. Seine Augen waren immer noch glasig und stumpf. Er spürte ein kleines Stechen an der Stelle, wo seine Haut dem Druck leicht nachgab. Im Fernsehen hatte es viel einfacher ausgesehen. Eigentlich hing er doch am Leben. Dieses Leben, das er sich versaut hatte. Und dennoch. Er lebte, er spürte es doch gerade ganz deutlich. Nur wenn er lebte, konnte er diesen Schmerz fühlen. Nur wenn er lebte, konnte er kämpfen, gegen diese gemeine Krankheit, gegen alles, was noch kommen sollte. Nur wenn er lebte, konnte er erfahren, was Ärzte und Forscher in Zukunft noch über die Krankheit herausfinden würden. Vielleicht konnte es doch noch Heilung geben. Wenn auch erst in vielen Jahren. Es galt, diese Zeit zu überstehen.
    Mit einem erleichterten Seufzer nahm Maximilian die Klinge von der Haut und ließ sie klirrend ins Waschbecken fallen. Auf seiner Haut bildete sich eine Blutperle, die immer dicker wurde und schließlich ins Becken plumpste. Ungläubig fixierte er die Flecken, die sich auf dem Weiß abzeichneten und langsam in kleinen Rinnsalen verwischten. Dieses Blut war Gift. Dieses Blut war tödlich, er verabscheute es und dennoch war es seins. Niemals durfte er wieder so leichtsinnig sein Blut ans Tageslicht befördern. Egal, wer damit in Kontakt kam, es könnte sein Leben für immer verändern.
    Maximilian wusch die kleine Wunde mit kaltem Wasser aus und klebte drei Pflasterlagen darüber. Dann sprühte er das Waschbecken mit einem Hygiene–Spray für die Toilette ein. „Keimtötend“ stand darauf. Für HIV würde es sicher auch reichen.
    Sein Blick war klar undfest, als er die Flasche zurück in den Schrank stellte. Nein, er würde nicht aufgeben. Niemals.

7.
    Endlich würde sie erfahren, ob sie sich bei Maximilian mit HIV angesteckt hatte. Einfach nur weil sie mit ihm geschlafen hatte. Nach mehreren Stunden Internet–Surfen konnte sie nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Der Begriff „Safer Sex“ war ihr nie in den Sinn gekommen. Waren junge Menschen nicht alle gesund? Nein, niemals hätte sie an eine Gefahr gedacht. Und schon gar nicht für sich oder für Max. Das war ein Ding der Unmöglichkeit.
    „Nimm kurz im Wartezimmer Platz.“ Die Arzthelferin lächelte freundlich. Zu freundlich. Wusste sie bereits mehr? Hatte sie vielleicht heimlich das Testergebnis gelesen? Das Lächeln wurde vor Dorothees Augen immer steifer, geradezu künstlich und gezwungen. Sie hielt es einfach nicht mehr aus. Noch länger konnte und wollte sie beim besten Willen nicht warten.
    Konnte sie denn wirklich krank sein? Maximilian hatte dicke Lymphknoten am Hals, er hatte Fieber gehabt und eine schwere Angina durchgemacht. Bei ihr war überhaupt nichts passiert. Eigentlich fühlte sie sich pudelwohl, wenn diese schreckliche Ungewissheit nicht gewesen wäre.
    Heute ging es schnell. Das Wartezimmer war nicht so voll wie am Freitag und nach zwanzig Minuten führte die Arzthelferin Dorothee in ein Behandlungszimmer. Dorothee konnte nichts von ihren Augen ablesen. Wenn die Frau etwaswusste, dann schaffte sie es prima, sich zu verstellen.
    Im Behandlungszimmer war niemand, Frau Dr. Scherleins Stuhl leer. Sie nahm auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz. „Sie kommt gleich“, sagte die Arzthelferin, ehe sie die Tür hinter sich schloss und mit dumpfen Schritten im Flur verschwand. Auf dem Schreibtisch sah Dorothee eine gelbe Karte liegen. Sie beugte sich vor und las auf dem Kopf ihren Namen. Sie spürte ihren Herzschlag, der Atem war schnell und flach. Konnte sie einen Blick hinein wagen, ehe Frau Dr. Scherlein kam? Schließlich war es ihre Akte, sie hatte doch das Recht, zu wissen, was darin stand. Dorothee hob einen Arm und griff nach der Akte. Ihr Blick wanderte immer wieder zur Tür. Wie ein kleines Kind

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