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Die rote Schleife

Die rote Schleife

Titel: Die rote Schleife Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition zweihorn GmbH & Co. KG
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klingeln, damit Jana ihm die Tür aufmachte. Dann holte er seinen Schlüssel aus der Hosentasche hervor. Bis sie aus ihrem Zimmer kam, würde es ja doch eine halbe Ewigkeit dauern.
    Maximilian ging den Flur entlang zur Küche. Seine Mutter legte dort die Handtasche immer in einen Korb. Durch das Milchglas der Küchentür sah Maximilian Janas Schatten. Sie kniete auf der Erde, eine Schattenhand langte in den Korb. Offensichtlich hatte sie ihn noch nicht gehört. Aber was tat Jana da? Maximilian setzte nun vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Jetzt durfte er bloß kein unnötiges Geräusch machen.
    Er hatte die Tür erreicht, Jana kniete immer noch auf dem Boden. Ihre Hand war längst nicht mehr im Korb. Maximilian sah genau die Umrisse der Handtasche, die er holen sollte. Eine Hand legte er vorsichtig auf die Türklinke und drückte sie behutsam nach unten. Hoffentlich quietschte sie nicht.
    Nein, sie tat es nicht. Dann zog er die Klinke zu sich. Immer noch kein Geräusch. Jana schien sich ihrer
    Sache sehr sicher zusein. Sie hatte sich kein einziges Mal umgedreht. Erwischt zu werden erwartete sie nicht. Alle waren ja außer Haus. Maximilian ließ die Tür los. Er bereute es noch im gleichen Moment, denn sie schwang weiter und stieß gegen die Wand. Nur leicht, aber Jana dreht sich wie von einer Hummel gestochen um. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah sie in das Gesicht ihres Bruders. Ein Zwanzig–Euro–Schein klemmte zwischen ihren Fingern.
    „Hast du sie noch alle?“, fragte Maximilian erstaunlich ruhig. Jana ließ den Geldschein fallen. Ihre Hände zitterten. Sie wollte etwas sagen, aber ihre Lippen bebten, sodass sie zu stottern begann.
    „Wa-was ma-machst du-du denn hi-hier?“
    „Das sollte ich wohl besser fragen. Mama wird sich jedenfalls freuen, wenn ich ihr davon erzähle.“
    „Nein!“ Jana stand nun auf und versuchte die Fassung wiederzuerlangen. Sie faltete ihre Hände wie zum Beten zusammen, um das Zittern zu unterdrücken. „Das kannst du nicht machen!“
    „Und ob ich das kann. Nenn mir einen Grund, warum nicht?“ Maximilian hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt und grinste. „Wofür brauchst du das Geld denn?“
    Jana baute sich nun vor ihrem Bruder auf. Der anfängliche Schreck war längst gewichen. Zornig funkelte sie ihn an. „Das geht dich einen feuchten Dreck an!“
    Maximilian zuckte mit den Schultern. „Mama wartet, ich habe keine Zeit für deine Spielchen. Gib mir die Handtasche. Wenn wiraus dem Krankenhaus zurück sind, wirst du dein blaues Wunder erleben.“ Jana hob den Geldschein wieder auf und legte ihn zurück in die Handtasche.
    „Sag es bitte nicht“, flehte sie.
    „Und ob!“ Maximilian entriss seiner Schwester die Handtasche und lief dann den Flur zurück zur Haustür.
    Jana hatte sich gegen die Tür gelehnt. Mit dem Rücken zur Wand suchte sie einen Ausweg. Schließlich schrie sie ihm hinterher: „Du hast es nicht anders gewollt. Wenn du mich verpetzt, dann weiß es morgen die ganze Schule, das schwöre ich dir.“ Janas Kopf war rot angelaufen. So weit hatte sie nicht gehen wollen, aber etwas anderes war ihr einfach nicht eingefallen.
    Maximilian hatte die Haustür fast erreicht. Abrupt blieb er stehen. Die Zeit reichte nur für einen kurzen Blick über seine Schulter. Dann verschwand er durch die Tür. Nein, er würde seine Schwester nicht verpetzen. Aber für diese Drohung durfte sie ruhig einige Stunden im Ungewissen verbringen. Damit sie auch nur ansatzweise verstehen konnte, welche Ängste Dorothee und er gerade durchleben mussten.
    Innerlich noch auf hundertachtzig ließ sich Maximilian wieder in den Sitz fallen. Die Handtasche pfefferte er in das Handschuhfach.
    „Jetzt mal ganz sachte. Wir müssen nun mal in diese Spezialambulanz. Wenn du deshalb schlechte Laune hast, dann lass das bitte nicht an meiner Tasche aus.
    Okay?“ Maximilian schwieg. Er konnteja nichts verraten. Er schnallte sich an und seine Mutter fuhr los.
    Spezialambulanz. Darauf hatte er eigentlich überhaupt keine Lust. Andererseits gierte er nach einer zweiten Meinung. Denn Dr. Schirmer hatte ja behauptet, dass er zunächst mal keine Medikamente einnehmen müsste. HIV–positiv und keine Tabletten? Todkrank und doch keine Therapie? Dies hatte Maximilian nicht eingesehen, das passte nicht zusammen. Wie sollte das möglich sein? Allein deswegen musste er in die Spezialklinik der Universität.
    Nach einer halben Stunde Autofahrt bog seine Mutter auf einen riesigen Parkplatz ein.

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