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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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andere Ende des Wohnzimmers und trat in den Speiseraum. Er wimmelte von Leuten. Sie umrundeten einen großen Tisch, spießten dabei von Warmhalteplatten kleine Leckerbissen auf ihre Gabel und hinterließen eine Spur Phylloteig-Krümel. »Die Toilette?«, fragte Clare eine Frau, die gerade in eine Miniatur-Quiche beißen wollte.
    »Den Gang durch Richtung Küche.« Sie wies zu einer Tür, die von Menschen verstopft war. Eine Frau vom Partyservice kämpfte sich durch, um ein Tablett ins Speisezimmer zu schaffen. »Aber da ist pausenlos Hochbetrieb. Ich fürchte, Sie müssen Schlange stehen.«
    Clare zog ein Gesicht. »Es gibt doch bestimmt noch andere Toiletten«, sagte sie.
    »Ja, eine ist in der Hütte beim Pool. Man geht zur Haustür raus und dann um –«
    »Vielleicht irgendetwas Näheres?«
    Die Frau seufzte. »Na ja. Die ist eigentlich nicht für jedermann, aber im zweiten Stock gibt es noch eine. Dort, wo die Gästezimmer sind. Und wahrscheinlich auch im ersten, aber da war ich noch nie; da sind die Zimmer der Familienmitglieder.« Die Frau sah sich rasch um, als verriete sie ein Staatsgeheimnis. »Gehen Sie vorne zum Haupteingang. Dort finden Sie links eine Tür, die zu einer Treppe zum Privatbereich führt. Das Bad liegt in der Mitte des Flurs, gar nicht zu verfehlen. Aber das haben Sie nicht von mir!«
    »Ich werde schweigen wie ein Grab«, antwortete Clare. »Meine Blase weiß es Ihnen zu danken.«
    Sie fand ohne Schwierigkeiten die beschriebene Tür und stieg in den zweiten Stock hinauf, wo sie auch die Gästetoilette nicht lange suchen musste. Nicht besetzt.
    Beim Händewaschen kam Clare aus heiterem Himmel eine Idee. Die Zimmer der Familienmitglieder. Also auch das von Malcolm. Ein Stockwerk unter ihr. Während sie in den Wandspiegel starrte, konnte sie die Szene haargenau vor sich sehen: Sie war in Malcolms Privatbereich, fand die Korrespondenz zwischen ihm und Ingraham. Ein belastendes Schreiben, das dem jungen Geliebten ein Vermögen versprach. Oder vielleicht eine Versicherungspolice. Der Brief seines etwaigen neuen Freundes. Oder das Angebot für eine Teilhaberschaft an der Firma. Die Möglichkeiten sprudelten in Clares Kopf hoch wie Champagner, mit einer prickelnden Wolke Johannisbeeraroma. Malcolm, der geheimnisvolle Drahtzieher. Sie würde ihn entlarven, selbst wenn diese Theorie ihren eigenen Mutmaßungen über die Tatmotive widersprach. Russ würde die innere Größe erkennen, mit der sie sich kompromisslos der Wahrheit stellte. Ron, Stephen und all die anderen Geschäftsinhaber würden ihr vor Dank zu Füßen liegen. Russ wäre glücklich. Er wäre stolz auf sie. Paul fände seinen Seelenfrieden. Sie malte sich die Gratulation des Pfarrgemeinderats aus, weil sie endlich positive Schlagzeilen machte – stellte sich Russ’ Gesicht vor, wenn sie ihm den schlagenden Beweis gab, der Malcolm hinter Gitter brachte. Sie trocknete sich die Hände ab, verließ das Badezimmer und stürmte geradewegs zur Treppe.
    Im ersten Stock war es dunkel und still. Dicker Teppich bedeckte den Boden wie im zweiten Stock und im Erdgeschoss. Der Flur verlief über die gesamte Längsseite des Hauses, und das Flutlicht draußen an der Fassade spendete mehr als genug Helligkeit, um zu sehen, wohin man ging.
    Die erste Tür war offen und führte in ein Schlafzimmer, das vage im Widerschein der Lampe schimmerte. Clare wusste auf Anhieb, dieses Zimmer gehörte Peggy. Vorsichtig ging sie zu einer Tür in der gegenüberliegenden Wand, als sie jedoch den Kopf hindurchsteckte, entdeckte sie nur einen muffigen Schrank.
    Der zweite Raum war viel dunkler und mit schweren Vorhängen gegen die Außenwelt abgedichtet. Es roch stark nach Dianas Parfüm und Carys Rasierwasser. Clare durchquerte ihn, um eine Tür zu öffnen, hinter der sie wieder einen Wandschrank vermutete. Sie wollte das Licht andrehen und kurz hineinschauen, aber sie stolperte über einen geöffneten Koffer, fiel zu Boden und traf mit einem doppelten Geräusch auf den Boden: Das eine war ein dumpfer Knall, das andere ein unwillkürliches »Uff«, als der Sturz ihr den Atem verschlug. Nur der Plüschteppich rettete sie davor, sich das Knie aufzuschürfen. Sie rappelte sich hoch und lauschte einen gespannten Moment nach Schritten von der Treppe oder nach einer Stimme, die fragen würde, wer da oben sei. Was sollte sie sagen, wenn man sie hier erwischte? Ihr Kopf war einfach leer. Keine hilfreiche Anweisung von Master Sergeant Wright. Keine Spruchweisheit von ihrer

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