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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Chancen, dass er duschen wollte, standen gleich null – nicht in Begleitung eines anderen. Außer natürlich, er plante ein kleines Privatvergnügen.
    Sie konnte die Stimmen hören – lauter jetzt –, und dann fiel ein helles Licht durch den Spalt unter der Badezimmertür. Die Entscheidung war ihr abgenommen. Clare schlüpfte aus ihren Sandalen, nahm sie in die Hand und schob sich seitwärts in die Duschkabine. Das leise Geklapper der Vorhangringe und das Rascheln ließ sie mit den Zähnen knirschen.
    »Ich versteh nicht, wie Sie so ruhig bleiben können«, sagte eine Männerstimme, gedämpft durch die Badezimmertür.
    »Ganz cool, Mann«, entgegnete Malcolm, und plötzlich sang Dave Matthews eindringlich und verführerisch »Forty-one«; reine hohe Töne und ein verrucht klingender Bass kamen aus dem CD-Player in der Größe von Clares tragbarem Plattenspieler. Wie konnte Malcolms Lektüre so schlecht und seine Musik so gut sein?, fragte sie sich absurderweise, und dann hörte sie ihn sagen: »Ich muss mal für kleine Jungs.«
    Mit all ihrer Willenskraft zwang sich Clare zur Regungslosigkeit, als die Tür aufging und das Licht im Bad eingeschaltet wurde. Sie drückte die Augen zu wie ein Kind, das glaubt, wenn es nicht hinsieht, wäre es auch selbst unsichtbar – ein unwiderstehlicher Impuls. Dabei raste ihr Herz so wild, dass es schwer fiel, weiterhin langsam und gleichmäßig zu atmen. Sie kämpfte gegen ihren Drang, die Luft anzuhalten, denn sie wusste, wenn sie das tat, würde sie nur umso lauter ausatmen.
    Clare hörte den Toilettendeckel aufklappen und Malcolm sein Geschäft verrichten. Es schien, als pinkelte er eine Ewigkeit – er hatte offenbar die Blase eines Rennpferds –, bevor er endlich den Reißverschluss hochzog – ein kleines »Ratsch« – und spülte. Das Wasser, das durch die Porzellanschüssel brauste, gab Clare genug Geräuschdeckung, dass sie ihre Lunge mit Luft vollpumpen konnte. Dann plätscherte das Wasser im kleinen Waschbecken. Sie öffnete die Augen, nur um mit Entsetzen das halb aufgebrauchte Stück Seife in der Chromschale direkt neben dem Duschkopf zu entdecken. Bitte, bitte, dachte sie, bitte, bitte, bitte …
    Doch da hörte sie den himmlischen Klang des Flüssigseifenspenders und wusste, sie war noch einmal davongekommen. Während Malcolm den Hahn zudrehte, nach dem Handtuch griff und es wieder hinhängte, konnte sie hinter dem Rand des Duschvorhangs sogar seine Fingerspitzen sehen. Dann knipste er das Licht aus und zog die Tür hinter sich zu. Bis auf einen Spalt.
    Am liebsten wäre Clare an der Rückwand der Dusche zusammengesackt und hätte sich zu Boden gleiten lassen. Sie hatte ihre Schuhe so krampfhaft festgehalten, dass ihr die Hände wehtaten. Mit einem tiefen Atemzug versuchte sie, sich zu beruhigen, ihren Herzrhythmus zu verlangsamen, ihre Muskeln zu entspannen. Sie brauchte nur still zu sein, still und starr in ihrem Versteck zu bleiben, dann würden Malcolm und der andere irgendwann schon wieder hinuntergehen.
    Es sei denn, dieser andere war sein neuer Freund und sie hatten vor, hier oben Sex zu machen. Clare überschlug in Gedanken diese Möglichkeit. Nein, in so einem Fall war es ausgeschlossen, dass sie hier blieb und unfreiwillig Mäuschen spielte. Wenn es sich anhörte, als würden die beiden intim werden, dann gäbe sie ihr Versteck auf und würde sagen … Was würde sie sagen? Dass sie heraufgekommen wäre, um die Toilette zu benutzen? Und sich auf der Suche danach in dieses Zimmer verirrt hätte, das am weitesten von der Treppe weg lag? Selbst wenn sie sich mit ihrem betrunkenen Zustand herausreden konnte, klang das fadenscheinig.
    Die Männerstimmen zogen Clares Aufmerksamkeit auf sich. Was sie hörte, war kein Liebesgeflüster. Allem Anschein nach brauchte sie vor einem erotischen Männerdoppel keine Angst zu haben, es sei denn, dieses Paar benutzte Streit als Vorspiel.
    »Ich sage nur, auf so etwas wollte ich mich nicht einlassen.« Jetzt, da die Badezimmertür ein Stück offen stand, konnte sie den zweiten Mann deutlicher verstehen. Seine Stimme kam ihr irgendwie bekannt vor, obwohl sie damit keinen Namen und kein Gesicht verbinden konnte. Vielleicht ein anderer Gast?
    »Was heißt ›auf so etwas‹?« Malcolm klang verärgert, aber so als wolle er es sich nicht anmerken lassen.
    »Der Typ ist tot, Menschenskind!«
    Clare gab alle Absichten auf, sich aus dem Badezimmer herauszumogeln. Die letzte Bemerkung des Mannes traf sie wie ein Dolchstoß, und

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