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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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ringsum straffte, sodass es ihm in die Haut schnitt. Der Hubschrauber bekam starke Schlagseite, und Russ schwang in weitem Bogen erst von dem Landegestell weg, dann wieder darauf zu. Clare knurrte etwas in den Kopfhörer, aber er verstand nur »Bahnhof«. Der Ruck, mit dem das Netz sich anspannte, hatte ihm den Schrei in der Kehle abgewürgt, die Krämpfe in seiner Lunge und seinen Rippen lösten einen Hustenanfall aus, und der Abwind des Rotors trieb ihm Tränen in die Augen. Russ kämpfte gegen das grüne Gewebe und das Aluminiumgestänge vor seinem Gesicht. Er schob alles weg und drehte und wendete sich, bis die Liegestühle neben ihm waren. Das Netz schwang in immer kleiner werdenden Bögen, während der Hubschrauber enge Kreise zog und sich langsam wieder in aufrechte Position brachte.
    »Ich habe nicht verlangt, Sie sollen zur Tür rausspringen!« So viel verstand er. »Okay. Ich habe ihn jetzt wieder begradigt. Ich werde Sie runterlassen. Aber um Himmels willen, versuchen Sie sich nicht mehr als Luftakrobat.«
    »Nein«, keuchte er mit letzter Kraft.
    Ein Beben ging durch das Netz, und es begann zu sinken. Russ schaute kurz nach oben, aber vom Anblick des Hauptrotors und dem dicken, kaulquappenförmigen Rumpf des Hubschraubers wurde ihm schlecht. Er sah lieber nach unten. Der Grund der schmalen Schlucht stürzte auf ihn zu, und die Felsen schienen plötzlich viel größer, viel erschreckender zu sein als von oben betrachtet. Russ war zwischen den Bäumen, dann zwischen den steilen Schieferwänden, dann auf halber Höhe der Schlucht, und jede Schramme im Gestein, jedes Gewächs, das sich in eine winzige Ritze klammerte, brannten sich ihm mit unnatürlicher Deutlichkeit ins Gehirn. Der Teil seines Verstandes, der nicht wie betäubt war, staunte über Clares Präzision. Es ging unaufhaltsam abwärts. Dann kam er mit einem plötzlichen Ruck zum Stillstand.
    »Wo sind Sie?«
    Er schloss die Augen, um seine Gedanken in die normalen Bahnen zurückzuzwingen. Dann schätzte er die Entfernung zum Grund ab. »Gute Arbeit«, sagte er. »Ich bin etwa anderthalb Meter über dem Bach.«
    »Okay. Machen Sie sich bereit. Los geht’s.«
    Ruckartig senkte sich das Netz weiter. Dann glitt Russ’ Gesäß durch kaltes Wasser, über runde Steinbrocken hinweg. »Ich bin unten, ich bin unten«, meldete er.
    »Okay. Ich lasse jetzt los«, sagte Clare. Das Netz um ihn herum fiel zusammen, und mehrere Meter des weißen Tragegurts legten sich in Schleifen auf den Boden. Russ kämpfte sich aus dem nassen Gewebe und ging mit zwei Schritten ans Ufer. Er klopfte instinktiv seinen Körper ab, um sich zu vergewissern, dass alles noch dran war. Dann versuchte er, seine Brille zu befreien, die schief neben dem Kopfhörer eingeklemmt war. Mit einem Blick nach oben schwenkte er die Arme. »Sie sind ein paar Meter unterhalb von Waxman«, sagte Clare. »Können Sie ihn sehen?«
    Russ ertastete sich über lose Steine seinen Weg bachaufwärts. Waxmans Rucksack, der am Rand in einer Biegung lag, war deutlich zu erkennen. Und dann entdeckte er Waxman. Er lag mit leicht verrenkten Gliedmaßen am Ufer, halb hinter einem Felsblock versteckt.
    »Ich hab ihn.« Russ sank neben der leblosen Gestalt in die Hocke und legte Waxman zwei Finger auf die Halsschlagader. »Ich fühle einen Puls.« Er fuhr mit seinen Händen leicht über Waxmans Kopf und Körper. »Ich bin ziemlich sicher, dass beide Arme gebrochen sind. Die Beine könnten okay sein. Und was mit seinem Rückgrat los ist, weiß der Himmel.« Russ blickte zu dem Hubschrauber hinauf, als könnte er Clares Gesicht sehen. »Mit unserer Behelfsausrüstung ist es riskant, wenn wir ihn bewegen.«
    »Wir könnten nach Glens Falls fliegen und den Rettungshubschrauber verständigen. Das verzögert die Sache aber um anderthalb bis zwei Stunden. Sie sind vor Ort, Russ. Es ist Ihre Entscheidung.«
    Russ sah wieder zu Waxman. Das Gesicht des Geologen war trotz seiner Sonnenbräune bleich, und auf der Stirn breitete sich ein dicker blauroter Bluterguss bis in den Haaransatz aus. Russ öffnete ein Augenlid, aber der Mann blieb bewusstlos, seine Pupille war starr und ohne Reaktion.
    »Ich glaube, so viel Zeit hat er nicht«, sagte Russ schließlich. »Ich hole nur schnell die Sachen, dann binde ich ihn fest, so gut ich kann.« Er ging wieder zu dem Netz zurück und zerrte erst die Liegestühle, dann die Tüte voll Lumpen heraus. Nachdem er eine der Liegen aufgeklappt hatte, lehnte er sie an den Felsblock und sprang

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