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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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wie ein zerstörungswütiger Jugendlicher darauf. Als die schwachen Gelenke brachen, hatte Russ eine Art wacklige Trage. Dann riss er die Metallbügel, die als Beine dienten, ab, bog sie einigermaßen gerade und klemmte sie parallel zueinander im Liegestuhlgeflecht fest. Fertig war die Behelfsbahre. Er hob sie hoch und schüttelte sie. Sie wackelte zwar mehr, als ihm lieb war, aber immerhin hätte Waxman so die Chance, ohne Querschnittslähmung hier herauszukommen. Er legte das Ding neben den Bewusstlosen auf den Boden, drehte ihn behutsam um, schob ihn auf den Aluminiumrahmen und betete, dass er nicht noch mehr Schäden anrichtete.
    Die Lumpen mussten miteinander verknotet werden, bevor er sie über Waxmans Brust spannen und in dem Stuhlgeflecht festbinden konnte. Der Atem des Mannes ging flach und unregelmäßig, mehr wie Schluckauf als wie echte Lungentätigkeit.
    Russ nahm den Kopfhörer ab, um nach einem verräterischen Zischen zu lauschen, das eine durchbohrte Lunge von sich gab, stellte aber nichts dergleichen fest. Dann band er Waxman an Schultern, Brust und Taille an den Alu-Rahmen und stand auf, um sich die zweite Liege vorzunehmen.
    Diese schmetterte er an den Felsblock, bis sie zersprang. Er benutzte das zerbrochene Gestänge, um Waxmans Arme zu schienen, und knotete sie mit den restlichen Lumpen fest. Anschließend riss er die Einkaufstüte durch. Die Fetzen dienten dazu, Waxmans starre Arme an die mehr als notdürftige Bahre zu binden. Russ richtete sich auf, wischte sich den Schweiß aus den Augen und begutachtete sein Werk. Waxman sah aus wie das Opfer eines missglückten Indianerspiels im Hinterhof. Wenn wir diesen Typen bei dem Versuch, ihn zu retten, nicht umbringen, dann ist es ein Wunder, dachte er.
    »Okay, ich bringe ihn jetzt zum Netz«, sagte Russ. Er packte die klapprige Bahre am oberen Ende und schleifte sie hinter sich her. Am Ziel angekommen, zog er das Netz aus dem Wasser und klappte dessen Ränder auseinander, um Waxman vorsichtig in der Mitte zu platzieren. Danach betrachtete er noch einmal das Gelände. Er lud sich den Rucksack auf die Schulter und legte ihn neben Waxman ins Netz.
    Er selbst stieg zuletzt hinein. Mit übereinander geschlagenen Beinen setzte er sich neben den Bewusstlosen und zog sich die improvisierte Bahre auf den Schoß. Das war zwar nicht gerade bequem, aber vielleicht könnte er der Konstruktion auf diese Art etwas mehr Halt geben. »Clare«, sagte er, »wir sind so weit.«
    »Wunderbar. Los geht’s!« Die Gurtschlaufen aus dem Hebebaum begannen sich zu straffen, als ließe man einen Film rückwärts laufen. Russ hatte geglaubt, er sei innerlich vorbereitet, aber der Ruck, mit dem der Heberiemen sich anspannte und das Netz vom Boden hochriss, verschlug ihm trotzdem den Atem. Waxmans Beine wurden nach oben gebogen, bis er aussah wie ein überfahrener Frosch. Der Rucksack presste sich Russ so schmerzhaft in die Unterschenkel, als würden sich die Metallschnallen durch die Jeans schneiden. Das Netz selbst drehte sich unterdessen wie ein Kreisel, und Russ musste vor dem übelkeitserregenden Wirbeln des Horizonts die Augen schließen.
    Clare holte ihn sehr viel schneller hoch, als sie ihn heruntergelassen hatte. Sich unaufhörlich drehend, stieg das Netz höher und höher; dann stoppte es mit einem Ruck, der Russ durch Mark und Bein vibrierte. Er schlug die Augen auf und sah nach oben. Knapp einen Meter entfernt befand sich der wurstförmige Hebebaum, und darüber sauste verschwommen der Rotor, dessen hartes rhythmisches »Tschack-tschack-tschack« in seinem Kopf hämmerte. Vor ihm gähnte ein kleines Stück entfernt die Ladeluke.
    Und plötzlich wurde Russ klar, dass Clare diesen Teil des Plans nie mit ihm besprochen hatte.
    »Clare!«
    »Schreien Sie nicht so. Ich verstehe Sie ausgezeichnet.«
    »Wie soll ich denn da reinkommen?«
    »Überhaupt nicht.«
    Der Hubschrauber stieg empor, überquerte den Rand der Schlucht und ließ sie hinter sich.
    »Sie können mich doch nicht einfach hier hängen lassen!«
    Die Stimme im Kopfhörer klang beschwichtigend. »Ich fliege zurück zum Landeplatz. Dauert nur eine Minute. Dann holen wir Sie aus dem Netz und verstauen Waxman im Frachtraum.«
    Russ machte die Augen zu und begann laut bis sechzig zu zählen. Er war gerade bei einunddreißig, da ertönte Clares vergnügte Stimme: »Sehen Sie ihn schon?«
    »Sie machen wohl Witze?«
    »Dann los. Schauen Sie hin.«
    Er gehorchte und schloss seine Augen gleich wieder vor

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