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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Erleichterung, als er den Landeplatz auf sich zukommen sah. Der Rotor dröhnte unbeschreiblich, und sein Luftzug wirbelte eine Wolke von Splitt und Staub auf. Dann schaukelte das Netz sanft, und sie waren unten. Nur wenige Sekunden später erschien Clare in der Ladeluke.
    »Über den Sitz geklettert«, sagte sie. »Ich mag’s nicht, auszusteigen, solange die Maschine läuft.« Sie beugte sich hinter die Tür, der Gurt, der das schwere Netz über dem Asphalt hielt, glitt aus dem Ladebaum, und Russ landete auf dem Boden. Er warf sich das Maschengeflecht von den Schultern und stand auf. Dabei war er sich unangenehm des Rotors bewusst, der über ihm die Luft durchschnitt.
    »Wieso ist der noch an?«, brüllte er.
    Clare zog mit schmerzlichem Gesicht an ihrem Kopfhörer. Russ riss sein Mikrofon vom Mund weg, und sie tat das Gleiche. »Ich möchte, dass wir so schnell wie möglich wieder abheben. Halten Sie ihn leicht senkrecht, dann nehme ich das andere Ende.«
    Russ packte das Ende des Aluminiumrahmens, das über Waxmans Schultern hinausstand, und hob es hoch. Clare kniete sich an die Türkante, um das Gestell nach hinten zu ziehen. Dann umfasste Russ, so gut es ging, Waxmans Beine, und zusammen schoben sie ihn in den Frachtraum. Danach warf Russ auch den Rucksack hinein.
    »Kommen Sie oder gehen Sie?«, brüllte Clare.
    Er machte eine hilflose Geste, um anzudeuten, dass er die Frage nicht verstand.
    »Fliegen Sie mit nach Albany? Ich wäre dankbar für ein bisschen Hilfe, aber ich will Sie zu nichts zwingen.«
    Er zögerte, seine Hand auf dem Rand der Ladeluke. Er hatte nicht daran gedacht, einfach zum Wagen zurückzukehren und wegzufahren. Die Möglichkeit bestand. Mehr konnte er ja doch nicht für Waxman tun. Er hatte die Wahl, zurück zum Polizeirevier zu fahren, den Papierkram zu erledigen und Peggys Aussage zu Protokoll zu nehmen. Er blickte wieder auf. Clare erwartete seine Entscheidung. »Ich komme mit«, sagte er und hievte sich in den Frachtraum.
    Clare sagte kein Wort. Sie zog nur das Netz hoch und schloss die Schiebetür des Frachtraums, aber er konnte sie lächeln sehen. Sie hantierte mit ihrem Kopfhörer und tippte dann auf seinen. Er schaltete ihn wieder ein. »Helfen Sie mir, Waxman dort rüberzuschaffen«, sagte sie und deutete zu dem Passagierbereich. Sie zog das Fangnetz beiseite und legte es sich über die Schulter, damit es nicht störte. Dann schoben und zerrten sie, halb gebückt, Waxmans leblose Gestalt bis auf Armeslänge vor die Sitze. Clare nickte ein »Okay«. Sie stieg auf Russ’ Platz und kletterte über die Zwischenwand in den Pilotensessel. »Schnallen Sie sich an, und dann starten wir«, sagte sie.
    Russ’ Hintern befand sich kaum auf der Sitzfläche, da stieg die Maschine auch schon in die Luft. Auch das hatte Russ in Erinnerung – das hektische Treiben vor dem Abheben, die Verwundeten am Boden, die Bäume, die vom Wind gepeitscht wurden, während die Hubschrauber aus dem Grasland hochstiegen. Clare war wieder in ihrem Element. »Fee-fee-fi-fi-fo-fo-fum, Lookin’ mighty nice, now here she comes«, sang sie in ihren Kopfhörer. Russ stützte seine Ellbogen auf die Knie und lachte. Mitch Ryder and the Detroit Wheels. Fehlte nur noch eine kleine Doors-Nummer, dann hätte sie den kompletten Soundtrack seiner Jugend gesungen. Er sah in Waxmans bleiches Gesicht und spürte plötzlich brennende Lust auf eine Zigarette. Dabei hatte er schon 1985 das Rauchen aufgegeben.
    Sie stiegen höher und höher, nahmen Kurs nach Osten, während Clare im Kopfhörer »Devil with a Blue Dress« sang und der Rotor den Begleitrhythmus dröhnte. »Wearing her perfume, Chanel Number Five, got to be the – was, zum Kuckuck …?«
    Russ setzte sich auf, sah aus dem Fenster, und er wünschte sofort, er hätte es nicht getan. Sie waren hoch, sehr hoch. So hoch wie ein Düsenflugzeug. Unter ihnen erstreckte sich das Gebirge in Schattierungen von Rauchblau bis Dunkelgrün, mit teils gezackten, teils abgerundeten Gipfeln. Clare war still geworden. Russ’ Erfahrung nach bedeutete es nie etwas Gutes, wenn ein Pilot plötzlich still wurde.
    »Was ist los?«
    Sie gab keine Antwort. Er wandte sich zu ihr um. Clare hatte sich über ein Instrument gebeugt, das er nicht sehen konnte. »Clare, was ist?«
    »Das Funkgerät«, sagte sie. »Es geht nicht.«
    »Was heißt ›Es geht nicht‹?«
    »Das heißt: Wer das Ding hier zuletzt geflogen hat, hat die Empfangsstation verstellt. Es ist tot – Funkstille. Und es kommt noch

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