Die Rote Spur Des Zorns
Gewebeballen zusammen und schleuderte ihn ins Innere. Clare kroch zur Seite. Danach zerrte sie das Netz auf die andere Seite, um dessen Ecken auseinander zu ziehen und die zusammengeklappten Liegestühle hineinzuschieben, zuletzt auch die Plastiktüte voll Lumpen. Sie sah sich nach etwas um, womit sich das Ganze während des Fluges sichern ließe. In dem orangefarbenen Fangnetz vor dem Frachtraum hing ein Dutzend kurze Spannseile.
»Perfekt!«, sagte sie und steckte eines dieser Seile durch den D-Ring, mit dem das Transportnetz am Hebegurt befestigt war. Das andere Ende hakte sie wieder in die Bespannung vor dem Frachtraum. Es war nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber der Hebegurt würde vom Boden und von der Ladeluke weggehalten werden, sodass das Netz nicht aus Russ’ Reichweite oder nach draußen rutschen konnte, selbst wenn Clare einmal stark seitlich geneigt fliegen müsste.
Sie hockte sich wieder an den Rand der Luke. »Los, springen Sie rauf«, sagte sie zu Russ, der sich daraufhin mit dem Rücken zur Tür stellte und neben Clare hochstemmte. In dem engen Frachtraum stieß sein Kopf fast an die Decke. »Okay, ich habe das Netz da hinten festgemacht«, erklärte sie und zeigte mit einer Daumenbewegung auf das dicke Bündel am Boden. »Weiter geht’s folgendermaßen: Wenn wir zu Waxman kommen, dann bleibe ich im Schwebeflug über ihm; Sie haken das Spannseil aus, schleifen das Netz zur Luke und steigen rein.«
»Verstanden.« Er sprach so tonlos, dass sie nicht sagen konnte, ob es Sarkasmus oder einfach Angst war.
»Sobald Sie drin sind, ziehe ich vom Schalter im Cockpit aus das Netz hoch, bis es nach draußen schwingt. Dann lasse ich Sie schön langsam runter.«
»Schön langsam.«
Sie senkte verlegen ihren Blick. »Kann schon sein, dass Sie beim Aufsetzen ein paar blaue Flecke kriegen. Aber ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit Sie weich landen.«
Er beugte seinen Kopf zwischen die Knie. »O mein Gott«, keuchte er, und vielleicht war es das aufrichtigste Gebet, das sie je gehört hatte.
»Falls irgendetwas passiert – falls Sie mich brauchen –, bin ich direkt hinter Ihnen. Da, sehen Sie.« Clare deutete auf die halbhohe Wand, die die Passagiersitze von der Rücklehne des Pilotensessels trennte. »Dort ist Ihr Platz. Ich kann in Sekundenschnelle bei Ihnen sein.«
»Offen gestanden, ist das kein großer Trost.«
»Sind Sie so weit?«
Er nickte wie ein Mann, der zu seiner eigenen Hinrichtung geht. Aber er gab das Okayzeichen.
»Also los!«
28
N atürlich verlief die Aktion doch nicht so problemlos. Russ hatte das schon öfter erlebt. Piloten konnten einen nie einfach nur an Bord nehmen und dann abschwirren – sie mussten das Ganze in die Länge ziehen, mit Schaltern spielen, das Triebwerk hochjagen, bis es sich anhörte, als würde es gleich explodieren, und arme Idioten wie er mussten die ganze Zeit in einer Pfütze von Schweiß und Elend dasitzen. Es juckte und kribbelte ihn, bis er sich am liebsten die Haut vom Körper gekratzt hätte, den Kopfhörer, der ihm so fest wie ein Schraubstock vorkam, am liebsten weggeworfen hätte, um aus der Maschine zu springen – weit genug, dass er nicht mehr das »Tschack-tschack-tschack« zu hören brauchte, das die Untermalung all seiner Albträume bildete.
Er saß angeschnallt auf dem linken Passagiersitz, die Hände auf den Knien, und er konzentrierte sich auf das leuchtend orangenfarbene Fangnetz zwischen sich und dem Frachtraum, um möglichst nicht durch die geöffnete Ladeluke oder durch das Fenster zu seiner Rechten schauen zu müssen – was verdammt schwer fiel, denn das Ding war so groß wie die Windschutzscheibe eines Kleinbusses. Er versuchte, nicht auf das Winseln des Triebwerks und das rhythmische Geräusch des Rotors zu achten, dessen Lärm ihm selbst durch den Kopfhörer bis ins Genick drang.
Stattdessen achtete er auf Clares Geräusche, während sie sich startklar machte. Sie hatte die gleiche Angewohnheit wie einer der Piloten, mit denen er in Vietnam geflogen war: Sie sang beim Hantieren an den Schaltern und Hebeln halblaut vor sich hin.
»I don’t know why I love you like I do, all the things you put me through«, trällerte es in seinem Kopfhörer. Heiliger Strohsack! Das war ja sogar das gleiche Lied, dachte er. Was machen die denn mit denen in der Flugschule? Geben die ihnen ’nen Soundtrack?
»Take me to the river«, trällerte es weiter. »Drop me in the water.« Der Lärm des Rotors über Russ steigerte sich zu
Weitere Kostenlose Bücher