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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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stieß in einem kaum vernehmbaren Flüstern Worte aus, als ginge sie eine Einkaufsliste durch, und er hörte kurzes Motorengebrüll, dann wieder ein ersticktes Geräusch.
    »Schnallen Sie sich an und machen Sie sich klar für eine Bruchlandung!«
    Russ sprang mit eingezogenem Kopf zu seinem Sitz und riss den Gurt über seinen Oberkörper. Der Hubschrauber sackte unvermittelt ab, und Russ’ Gleichgewichtsorgan verschob sich, sodass ihm übel wurde. Durch die Fenster sah er nichts als farblosen Himmel, aber sein Magen und seine Wahrnehmung gaben ihm das Gefühl, sie würden in einer Spirale abwärts wirbeln. Wieder Motorengebrüll, und der Hubschrauber ruckte so heftig nach oben, dass Waxman ein paar Zentimeter über dem Boden schwebte. Das Triebwerk gab ein asthmatisches Geräusch von sich. »Komm schon, komm schon«, drängte Clare.
    »Clare? Wie schlimm ist es?«
    »Schlimm.« Sie hörte sich knapp, präzise und professionell an. »Irgendwas blockiert die Treibstoffzufuhr.« Sie zischte kurz, bevor sie in nüchternem Tonfall weitersprach: »Ich werde jetzt etwas machen, das sich Autorotation nennt. Das heißt, ich gehe in Sturzflug und schalte gleichzeitig den Rotor aus. Er wird sich von allein weiterdrehen. Das gibt uns Auftrieb und bremst unseren Absturz. Es wird eine kontrollierte Bruchlandung.«
    Dreißig Jahre waren vergangen, und nun würde er doch noch bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kommen. Linda, seine Mom und seine Schwester schossen ihm durch den Sinn, aber hängen blieben seine Gedanken bei Mac. Mac, wie er lachte, rauchte, auf seinem Helm einen Rhythmus trommelte. Gott, dachte Russ, wenn ich schon sterben muss, dann mach bitte schnell. Lass mich nicht lange zappeln.
    »Los geht’s!«, sagte Clare.
    Der Boden unter Russ’ Schuhen neigte sich immer mehr. Waxman war zwar fest auf seine Behelfsbahre geschnallt, rutschte aber zu den Sitzen vor, und auch sein Rucksack geriet ins Rollen, sodass beides Russ’ Beine rammte. Das losgelöste Fangnetz vor dem Frachtraum flatterte; die Spannseile schlugen wild klappernd ans Fenster. Gerade als die ganze Maschine senkrecht auf der Schnauze stand, endete der Lärm abrupt. Eine jähe Stille trat ein – eine Grabesstille. Russ hörte sein eigenes Herz klopfen – hörte dann den Rotor über ihm pfeifen und surren. Hörte Clare ein Gebet sprechen. Sie stürzten jetzt dermaßen schnell nach unten, dass es ihm so vorkam, als würde sein Körper den Sicherheitsgurt zerreißen.
    Er hörte Clare sagen: »Halt durch halt durch halt-durch-halt …«
    Dann schlugen sie am Boden auf.

29
    E in Kreischen von Metall ertönte, und mit einem unvorstellbaren Lärm hackte sich der Rotor durch Holz, Erdreich und Stein. Dann brach er ab. Eines der messerscharfen Stahlblätter durchschnitt das Heck, als würde die Maschine sich in ihrem Todeskampf selbst zerfleischen. Ein anderes Rotorblatt zersplitterte zu einem Schrapnell, das den Rumpf mit einem Hagel von Metallbruchstücken bombardierte. Eine drittes wühlte sich durch den Boden, als versuchte es immer noch, seine Aufgabe zu verrichten, und auf seinem Weg bergab überschlug sich der Hubschrauber ein, zwei Mal, sodass Teile des Landegestells zarte Vogelknochen durchtrennten und sich die Stahlverkleidung abschälte wie die Haut einer Orange.
    Ein letztes Beben, Knarren und Quietschen. Dann machte Clare die Augen auf und stellte überrascht fest, dass sie noch lebte. Sie hing in ihren Gurten, und ihr erster Gedanke war: Ich danke dir, lieber Gott; ihr zweiter, dass bei Hubschrauberabstürzen mehr Menschen durch die Explosion nach dem Aufprall starben als durch den Aufprall selbst.
    »Russ?«
    Hinter ihr ertönte ein Ächzen. Sie atmete erleichtert auf und merkte erst jetzt, dass sie die Luft angehalten hatte. »Wir müssen hier raus – weg von der Maschine. Können Sie sich bewegen?«
    Wieder ein Ächzen.
    »Russ!«
    »Ja«, sagte er. »Ich glaube, ich brauche ein bisschen Hilfe.«
    Sie trat auf die Überreste der Frontscheibe – nur noch verbogenes Metall, Glas-und Plastiksplitter –, löste den Sicherheitsgurt und fiel schwer gegen die Passagiertür, die verzogen, verbeult und verdreckt war. Dann drehte sie sich herum.
    »Großer Gott im Himmel«, sagte sie. Die Wucht, mit der sie den Hang hinuntergerollt waren, hatte das lange Heck des Hubschraubers in die Kabine getrieben, und der Frachtraum war ringsherum implodiert, das Metall verklumpt wie nasses Pappmaché, das abgesägte Heckteil weniger als eine Handbreit von

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