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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Pension mit Frühstück zu übernachten, stammte von ihr. Auf diese Art drang man zwar nie sehr tief in die Wildnis vor, doch die Aussicht auf eine ordentliche Matratze und eine Dusche jeden zweiten Abend waren der Anreiz, dass Donna tapfer weitermarschierte.
    Sie trank das lauwarme Wasser und wischte sich an ihrem T-Shirt die Hände ab. Blinzelte in die Bäume. Das Krächzen der Krähen wurde noch lauter, und dann brach etwas Schwarzes mit breiten Schwingen aus dem Schutz des Waldes hervor, tauchte in die Schneise des Pfades hinab und verschwand über die nächste Anhöhe. Dabei flog es so dicht über Donnas und Lawrence’ Köpfe, dass er hätte hochspringen und sich eine Schwanzfeder hätte schnappen können. Wie ein übernatürlicher Sendbote aus einer Edgar-Allan-Poe-Geschichte war dieses Ding.
    Donna, die Medizinstudenten Biologieunterricht gab und nicht der Typ für Fantastereien war, sagte: »Du meinst, der Sammelbegriff für Raben? Das da war ein Rabe. Krähen sind viel kleiner.« Mit einem Stöhnen warf sie ihren Tornister ab. »Die machen wirklich einen Höllenradau da drin.«
    Lawrence wandte seinen Blick von der Flugbahn des Raben ab. Nach achtundzwanzig Ehejahren verstand er einen Wink mit dem Zaunpfahl. Vor über vier Stunden waren sie von ihrer Pension in Millers Kill aufgebrochen, und Donna fühlte sich reif für eine Pause. Er schnallte seinen Rucksack ab und ließ ihn fallen. Die Raben waren zwar nicht zu sehen, dafür aber zu hören: ein raues, kehliges Geschrei und scharfe Rufe, die klangen, als würden sie sagen: »Red! Red!«
    Donna zog einen Müsliriegel aus ihrer Gürteltasche. »Wahrscheinlich streiten sie sich um ein Stück Aas.«
    »So? Cool! Glaubst du, es gibt dort Knochen? So etwas wäre ein tolles Requisit für meinen Kurs über Rituale und Bildsymbole in prämodernen Kulturen, nächstes Semester.«
    Donna stopfte sich den Rest ihres Riegels in den Mund. »Ich dachte, du wolltest, dass sie Steine bemalen«, sagte sie kauend, verdrehte dann ihre Augen und schluckte. »Okay, sehen wir’s uns mal aus der Nähe an. Wahrscheinlich ist es ja bloß ein Waschbär. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in prämodernen Kulturen allzu oft Waschbären verehrt wurden.« Mit großen Schritten marschierte sie auf die Quelle des Lärms zu, und Lawrence folgte ihr den steiler werdenden Hang hinab, wobei er sich gelegentlich an einem Baumstamm festhielt. Sie war ein echter Kumpel, seine Frau.
    Dieser Abschnitt des Weges führte durch dichten, alten Wald: hohe, schlanke Bäume, ein wenig Unterholz und fetter schwarzer Humus, der aus den zahlreichen Lagen von Laub entstanden war. Der weiche Boden dämpfte ihre Schritte. Es war ein drückend heißer Tag, selbst im Schutz des Waldes, und in den Wipfeln von Buche und Ahorn regte sich nicht das leiseste Lüftchen. Das schrille Geschrei der Raben klang unnatürlich laut in dieser Stille.
    »Brrr! Nicht weiter, Liebling!« Donna versuchte, sich die steile Waldböschung hinaufzukämpfen.
    »Was ist? Alles okay?« Er ließ den Baumstamm los und eilte seitwärts zu ihr hinab.
    »Da ist ein Steilhang, zwar nicht furchtbar hoch, aber ich hab mich erschreckt.« Sie zeigte auf die Stelle, wo der lockere Waldboden ins Leere abfiel. Lawrence lehnte sich an den knorrigen Stamm eines Schwarzkirschbaumes, dessen Wurzeln sich durch Erdreich und Gestein an die Luft reckten. »Pass auf, Liebling«, sagte Donna.
    Er konnte die quergefurchte Felswand unter ihnen sehen, eine vielleicht drei oder dreieinhalb Meter hohe Kluft. An ihrem Grund plätscherte ein Bach, der braun und gesprenkelt wie eine Forelle war, zwischen zwei schmalen, spärlich bewachsenen Ufern. Das diesseitige Ufer erstreckte sich bis zu der Felswand, das jenseitige verlor sich in den Schatten des Hartholzwaldes.
    Am Rande dieses Baches, neben einer Gruppe Papierbirken, die in der Mittagssonne wie zerbrechliche, glatt geschliffene Knochen glänzten, stand ein kleines graubraunes Zelt. Es wurde fast verdeckt von den flügelschlagenden Raben, die oben auf der Aluminiumstange saßen, am Boden umherstolzierten und dabei mit ihren Schnäbeln an den Stoffklappen der Fenster zupften. »Du wirst es nicht glauben.« Lawrence warf einen Blick zurück zu Donna. »Da unten sieht’s aus wie in dem Film Die Vögel. Ich fürchte, da steckt jemand in Schwierigkeiten.«
    Zu ihrer Ehre sei gesagt, dass Donna nicht zweimal überlegte. »Wie kommen wir da runter?«, fragte sie.
    Lawrence inspizierte das Umfeld. »Wenn wir ein paar

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