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Die Rote Spur Des Zorns

Die Rote Spur Des Zorns

Titel: Die Rote Spur Des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Meter weiter westwärts gehen, ist der Steilhang nur ein paar Fuß hoch. Da könnten wir runterspringen.«
    »Westwärts?«
    »Nach links.«
    Sie liefen, so schnell es ging, an der Felsspalte entlang, bis sie zu der von Lawrence bezeichneten Stelle kamen. Donna sprang als Erste hinab und patschte schon durch das schienbeinhohe Wasser, bevor ihr Mann über den Rand des Felsens glitt. »Ksch! Ksch!« Wild fuchtelnd stürzte sie auf die Raben zu, die sich mit Schreien und Krächzen in die Luft erhoben wie ein dunkler Wirbelwind und auf den Birken landeten. Die dünnen Zweige bogen sich unter der Last der schwarz glänzenden Körper, die so sehr wie Aasgeier in irgendeiner Karikatur wirkten, dass Lawrence gelacht hätte, wären sie ihm nicht so verdammt unheimlich gewesen.
    »Schatz …« Donnas Stimme klang ungewöhnlich verhalten. »Ich rieche etwas.«
    Der Reißverschluss des Ein-Mann-Zeltes – eins von dieser idealen Sorte für Rucksacktouren – war fest zugezogen. Aber Donna hatte Recht. Beim Näherkommen bemerkte auch Lawrence ihn – den ekelhaft süßlichen Geruch. Er rümpfte die Nase. Sie sahen einander an. »Ich habe mein Handy dabei«, sagte sie. »Wir könnten …«
    Lawrence schüttelte den Kopf. »Wir müssen erst mal nachschauen.« Ein paar Schritte vor dem Zelt war eine kreisförmige verkohlte Stelle, eingefasst von rußigen Steinen. Er legte eine Hand auf die Aschereste. »Kalt.«
    Donna holte tief Luft. »Also schön. Machen wir dieses Ding auf und sehen nach.« Noch bevor er etwas einwenden konnte, war sie dabei, die Stoffklappe über dem Reißverschluss und dann den Zelteingang zu öffnen.
    »O mein Gott!« Sie prallten beide zurück. Donna wandte mit tränenden Augen ihren Kopf ab, Lawrence hielt sich mit einer Hand Mund und Nase zu. Der Geruch, der aus dem überhitzten Zelt drang, war schlimmer als der von faulen Eiern. Und in dem fahlen, graubraunen Inneren entdeckte Lawrence –
    »Mmmmmpf!« Donna drehte sich schnell herum und übergab sich.
    Lawrence hatte noch keine anderen Leichen gesehen als die seiner Eltern: sauber, keimfrei, geschminkt, mit aufgepolsterten, rosigen Wangen und in satingefütterten Särgen, sodass das Ganze den bizarren Eindruck machte, sie wären beim Anziehen für die Kirche eingeschlafen. Beide aber besaßen keinerlei Ähnlichkeit mit dem prallen, aufgedunsenen Körper dort im Zelt, und Lawrence wusste, dass er in das wahre, ungeschönte Gesicht des Todes blickte.
    »Wir sollten –«, begann er, doch in diesem Moment sah er eine einzelne grüne Fliege durch die stickige Luft summen und zart auf dem offenen Auge des Toten landen.
    Voller Grauen ergriff Lawrence den Arm seiner Frau. Er packte sie, zerrte sie fort, und mit stolpernden Schritten rannten sie durch den aufspritzenden Bach. Sie krallten sich an den niedrigen Felsvorsprung und kämpften sich hektisch nach oben.
    Auf dem Weg zurück zum Wanderpfad und seine Hand fest um die von Donna geklammert, fiel Lawrence der Sammelbegriff ein, den er vorhin gesucht hatte: eine Rabenverschwörung. Ein Krähenmord.

    Lichter in der Dunkelheit. Hitze verströmender Asphalt. Der unentrinnbare Rhythmus von Rotorblättern und aufwirbelnde Staubwolken. Russ verschränkte die Arme vor der Brust und bemerkte das feuchte Hemd auf seiner Haut, die hoffnungslosen Schweißflecke in den Achselhöhlen. Letzten Mittwochabend hatte er eine dieser verdammten Mühlen abheben sehen, und heute, genau eine Woche später, stand er hier, wartete und schaute zu, wie sich der Helikopter auf den klebrigen schwarzen Asphalt senkte, wie die Kufen am Landeplatz des Flughafens von Glens Falls aufsetzten.
    Nur dass er diesmal nicht Clares Enthusiasmus als Ablenkung hatte. Stattdessen sprangen Kevin Flynn und Mark Durkee mit jugendlich-machohaftem Schwung aus der Maschine, etwas bedächtiger gefolgt von Lyle MacAuley und Dr. Scheeler, der, wie Russ mit Genugtuung feststellte, den langsamer werdenden Rotor über seinem Kopf skeptisch beäugte und sich fast bis zum Boden duckte, bis er außer Reichweite war.
    »Sie hätten mitkommen sollen, Chief! Das war spitze!«
    Russ seufzte und richtete einen grimmigen Blick auf Flynn. »Ich hab Ihnen schon hundert Mal gesagt, Kevin: Kapitalverbrechen sind nicht ›spitze‹.«
    »Der Hubschrauberflug! Der war spitze. Sind Sie je in so ’nem Ding gewesen?«
    »Ja, bin ich.« Russ wandte sich an Lyle und Dr. Scheeler. »Also?«
    »Er hatte einen Führerschein und Kreditkarten dabei: Chris Dessaint. Sah dem

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