Die roten Blüten der Sehnsucht
Moorhouse Gerüchte zu Ohren gekommen, im Süden hätte ein Schafzüchter einen ganzen dort ansässigen Stamm ausgerottet. Also ist er mit einem Dolmetscher, Inspector Tolmer und zwei berittenen Polizisten zur Avenue Range Station geritten. Der Squatter leugnete überhaupt nicht, die Leichen gesammelt und vergraben zu haben, behauptete allerdings, sie wären bereits tot gewesen, als er sie fand.«
» Hatte er eine Erklärung dafür, wieso sie alle auf einmal gestorben waren?«, unterbrach ihn Lady Chatwick, die als erfahrene Leserin von Detektivgeschichten sofort den kritischen Punkt erfasst hatte.
» Sein Aufseher meinte, sie hätten wohl verdorbenes Fleisch gegessen. Er hätte einige Schafskadaver im Lager gesehen, die dort schon seit geraumer Zeit gelegen haben müssen.«
» Nicht schlecht. Ich vermute, damit hat er seinen Kopf aus der Schlinge gezogen?«
» Nicht ganz.« Ian lächelte schief. » Sie haben die Überreste von über zwanzig Leuten– auch Kindern– freigelegt. Moorhouse wäre nicht Moorhouse, wenn er das auf sich beruhen gelassen hätte.«
» Was hat er gemacht?«
» Er hat die Gegend durchkämmen lassen, und sie haben tatsächlich ein paar Eingeborene gefunden, die noch am Leben waren. Allerdings sind sie, bis auf einen, in den nächsten Tagen gestorben. Und der war zu schwach, um mit nach Adelaide zu kommen. Alle hatten von einem süßlich schmeckenden, weißen Mehl gegessen, das sie auf der Station geschenkt bekommen hatten.«
» Gift! Wie hinterhältig!«, platzte Dorothea heraus. » Es ist nicht zu fassen! Ist er wenigstens sofort verhaftet worden?«
» Erst einmal ist er zur Untersuchung der Umstände in Adelaide. Ob Richter Cooper Anklage erhebt, ist noch völlig offen.« Ians Gesichtsausdruck verfinsterte sich. » Es ist allgemein bekannt, dass Richter Cooper gegen Eingeborene als Zeugen große Vorbehalte hegt. Sie können ja nicht auf die Bibel schwören. In seinen Augen entspricht ihr Zeugnis damit nicht den Grundsätzen des englischen Rechts.«
» Ja, will man ihn einfach damit durchkommen lassen?« Dorothea sah ihn ungläubig an. » Er ermordet einen Haufen unschuldiger Menschen und spaziert aus dem Gericht als Ehrenmann?«
» Was sollen sie denn tun?« Ian hob die Schultern, eine fatalistische Geste. » Der Mann behauptet steif und fest, er hätte es ihnen nicht geschenkt, sie hätten ihm das Mehl gestohlen. Sein Aufseher schwört Stein und Bein, dass er es in einem fest verschlossenen Kasten aufbewahrt hat, der aufgebrochen wurde. Es ist allgemein üblich, vergiftete Köder gegen Dingos und anderes Raubzeug auszulegen. Wie willst du ihm beweisen, dass er sie absichtlich vergiftet hat?«
» Er wird genauso damit davonkommen wie dieser Kerl, der die Eingeborenenfrau erschossen hat, weil er angeblich von ihr angegriffen worden ist«, prophezeite Lady Chatwick düster. » Dabei wusste doch jeder, worum es ging.« Sie warf einen vielsagenden Blick in Richtung der beiden Kinder, um anzudeuten, dass sie in ihrer Gegenwart nicht alles aussprechen konnte. Dorothea erinnerte sich gut an den Fall. Er hatte ziemliches Aufsehen erregt, weil die Familie der Frau die Bestrafung des Mörders gefordert hatte, und tatsächlich wäre fast Anklage erhoben worden. In letzter Minute hatte der Schafhirte sich der Gerichtsverhandlung durch Flucht entzogen. Angeblich nach Amerika.
» Der Wirt vom Crown & Anchor meinte auch, dass die Aussichten auf eine Verhandlung schlecht stünden«, stimmte Ian Lady Chatwick zu. » Obwohl über diesen Aufseher einige hässliche Sachen kursieren. Er soll in South Wales schon öfter im Verdacht gestanden haben, Eingeborene zu vergiften. Man konnte ihm nie etwas nachweisen, aber es war schon auffällig, dass immer solche Gruppen betroffen waren, die dieselben Wasserlöcher wie seine Tiere benutzten.«
» Was ist ein Wasserloch?«, meldete sich Robert überraschend zu Wort. Alle sahen ihn verdutzt an, denn normalerweise saß er stumm dabei und ließ nicht erkennen, ob er am Gang des Tischgesprächs irgendein Interesse hatte.
» So etwas wie ein kleiner Teich. Woanders gibt es keinen solchen Fluss wie hier«, erklärte Ian. » Dort ist Wasser sehr kostbar, deswegen gibt es oft Streit darum.«
» Dann muss man sich dort nicht ständig waschen?«
Ian lachte. » Nein, Robert. Doch glaube mir, wenn du dort wärst, würdest du dich sehr gerne waschen!«
Obwohl er nicht gerade überzeugt aussah, wagte der Junge nicht zu widersprechen. » Aber John macht das nicht?«,
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