Die roten Blüten der Sehnsucht
und warf ihn ohne Vorwarnung Wet Ned zu. Der fing ihn auf. » An deiner Stelle würde ich zusehen, aus der Gegend zu verschwinden«, flüsterte der Mann mit heiserer Stimme. » Haben wir uns verstanden?«
Wet Ned nickte erneut. Im nächsten Moment war der Herr verschwunden. Ned hütete sich allerdings, ihm nachzusehen. Ein kalter Schauer überlief ihn. So ähnlich musste man sich fühlen, wenn man dem leibhaftigen Teufel begegnete, dachte er und presste den kalten, harten Beutel Münzen an sich, als könne er ihn beschützen.
1
August 1849
In die feuchtkalte Brise, die vom Murray River herüberzog, mischte sich kaum wahrnehmbar der Duft der ersten Akazienblüten. Dorothea liebte die wattles, wie die Engländer sie nannten, wegen ihrer fröhlichen gelben Kugelblüten und wegen des parfümähnlichen Geruchs, den sie freigebig verströmten. Sie drehte den Kopf ein wenig, damit sie den zarten Hauch besser schnuppern konnte, und schloss die Augen. Der Duft der Akazien war das Zeichen dafür, dass die ungemütliche Regenzeit sich ihrem Ende näherte. Bald schon würden die Wiesenflächen auf der anderen Seite des Flusses von Unmengen der Pink Fairies überzogen sein, kleinen Wiesenorchideen, die von fern an die heimischen Leberblümchen erinnerten.
» Ma’am?« Trixie, das Hausmädchen, ächzte ein wenig, während sie den kleinen Charles von der rechten Hüfte auf die linke setzte. Eigentlich war Dorotheas und Ians Jüngster inzwischen zu alt, um noch ständig getragen zu werden, aber Trixie war mit ihm geradezu lächerlich ängstlich. » Soll ich Charles dann schon mal fürs Bett fertig machen? Ich glaube, er ist ziemlich müde.«
Dorothea warf einen Blick in das pausbäckige Gesicht ihres Sohnes, der gerade wie zum Beweis herzhaft gähnte und sich mit den zu Fäusten geballten Händchen die Augen rieb. Natürlich hatte Trixie recht. Sie war ein ausgezeichnetes Kindermädchen. » Ich hoffe nur, dass John sich mit seiner Werbung Zeit lässt«, hatte Dorothea erst neulich in der Vertraulichkeit des gemeinsamen Schlafzimmers gemurmelt, während sie der Stimme der jungen Frau lauschte, die Charles und seine dreijährige Schwester Mary in den Schlaf sang. » Was sollten wir nur ohne sie machen?«
» Ein neues Kindermädchen suchen.« Ihr Mann Ian war nicht im Mindesten beeindruckt gewesen. » So selbstsüchtig kenne ich dich gar nicht, Darling. Wenn jemand es verdient hat, eine eigene Familie zu gründen, dann sind es diese beiden.«
Dorothea hatte ihm recht geben müssen. Nach der schweren Geburt von Robert vor acht Jahren hatte das Hausmädchen die Sorge um das körperliche Wohl des Säuglings übernommen. Dorothea war damals nur langsam wieder zu Kräften gekommen, und so war es bei dieser Aufteilung geblieben. Auch nach den Geburten der folgenden Kinder.
Sie lächelte dem Mädchen zu. » Ja, tu das, Trixie. Und für Mary wird es auch Zeit. Wo ist sie denn? Ach, sag nichts, ich weiß schon.« Die beiden Frauen tauschten einen Blick stillen Einverständnisses. » Ich bringe sie gleich nach oben«, sagte Dorothea.
Tatsächlich hockte die Kleine still und artig unter dem Schreibtisch im Kontor, eifrig damit beschäftigt, ein Blatt teuren Büttenpapiers mit wilden Krakeleien zu bedecken.
» Ian, doch nicht das gute Briefpapier!«, entfuhr es Dorothea halb amüsiert, halb ärgerlich.
» Sie wollte aber unbedingt das dicke«, erwiderte er, lächelte und hob den Kopf von dem Brief, den er gerade gelesen hatte, um sich von ihr küssen zu lassen. » Und da es ein Geschenk für dich werden soll, wollte ich nicht geizig sein.«
» Du hättest es ihr auch sonst gegeben, wenn sie es verlangt hätte«, murmelte Dorothea und küsste ihn liebevoll auf die raue Wange. » Gibt es irgendetwas, was du ihr abschlagen würdest?«
» Nein, nichts«, sagte er ehrlich und strich der Kleinen, die sich an sein Knie schmiegte, über die schimmernden dunklen Locken. » Nun, Engelchen, willst du Mama nicht dein Geschenk geben?«
» Es ist noch nicht fertig.« Mary zog einen Flunsch und versteckte das Blatt hinter ihrem Rücken.
» In Ordnung, dann malst du es morgen fertig. Aber jetzt wartet Trixie oben. Komm.« Dorothea streckte auffordernd die Arme aus. Mary machte keine Anstalten, sich von Ians Knie zu lösen. » Nicht du. Daddy soll mich tragen«, beharrte sie.
Dorothea runzelte die Stirn und öffnete schon den Mund, um ihre eigensinnige Tochter zurechtzuweisen, als Ian dem Tadel zuvorkam, indem er aufsprang und die Kleine auf
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