Die roten Blüten der Sehnsucht
Wangen. Ihre feuchten Lippen.
» Ian…« Sie senkte den Blick, weil das Schauspiel sie mehr erregte, als es sich für eine anständige Frau gehörte.
» Du bist wunderschön, weißt du das?« Seine Stimme klang dunkel, leicht verwaschen. Unvermittelt zog er sie hoch und trug sie zum Bett. » Ich liebe dich«, konnte sie gerade noch flüstern, ehe er sie so leidenschaftlich küsste, dass nichts mehr außer Ian, seinem Körper, seinen Lippen, seinem Duft von Bedeutung war. Erst als der Sturm sich wieder gelegt hatte und sie erschöpft und befriedigt aneinandergeschmiegt unter der Decke lagen, kam ihr der geheimnisvolle Brief wieder in den Sinn.
» Lord Embersleigh– wer ist das eigentlich?«, fragte sie unvermittelt.
» Hm? Wer?«, gab ihr Mann träge zurück.
» Dieser Lord, der dir einen Brief geschrieben hat– oder hat schreiben lassen. Was hast du mit einem Lord in England zu schaffen? Du ziehst es doch eigentlich vor, deine Geschäftspartner persönlich zu kennen.«
» Ach so, das. Wenn du ihn gelesen hast, weißt du ja, worum es geht.«
» Ich habe ihn nicht gelesen.« Entrüstet richtete sie sich auf einen Ellenbogen auf und sah ihm direkt ins Gesicht. » Er fiel zu Boden, als du mit Mary davongestürmt bist, und ich habe ihn aufgehoben und zurückgelegt. Mehr nicht.«
» Schon gut.« Ian zog sie an sich. » Es ist eine äußerst seltsame Angelegenheit. Dieser Lord Embersleigh bildet sich ein, ich könnte sein Sohn sein, der vor vielen Jahren verschwunden ist. Man hielt ihn für ertrunken– und höchstwahrscheinlich ist er das auch–, aber manche Leute klammern sich eben an jeden Strohhalm, weil sie die Wahrheit nicht ertragen können.«
» Wie kommt er ausgerechnet auf dich?« Dorothea kuschelte sich enger an seine Seite, um möglichst viel von seiner Körperwärme zu profitieren.
» Er hat Nachforschungen anstellen lassen.« Ian schüttelte mitfühlend den Kopf. » Der arme Mann muss wirklich ziemlich verzweifelt gewesen sein. Sein Anwalt wollte von mir wissen, ob ich mich erinnern kann, mit welcher Zigeunersippe ich durchs Land gezogen bin und ob sie jemals Andeutungen über meine Herkunft gemacht hätten.«
» Du bist tatsächlich bei Zigeunern aufgewachsen?« Dorothea war entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen. Normalerweise sprach Ian nie über seine Kindheit. Nachfragen war er so geschickt ausgewichen, dass ihr erst allmählich klar geworden war, dass er nicht darüber sprechen wollte. Wenn man bedachte, dass er mit einer Gruppe Londoner Straßenkinder nach Australien gekommen war und dass er erst von ihr Lesen und Schreiben gelernt hatte, war sein früheres Leben vermutlich nicht gerade eines, an das man sich gerne erinnerte. Sie hatte das respektiert, was nicht hieß, dass sie es aufgegeben hätte, ihm seine Vergangenheit eines Tages doch noch zu entlocken. Und jetzt schien dieser Moment in greifbare Nähe gerückt.
» Wie bist du zu ihnen gekommen? Wo hast du vorher gelebt?«
» Ich weiß es nicht.« Ian klang nachdenklich. » Niemand konnte mir darüber etwas sagen. Als ich alt genug war, um zu bemerken, dass die anderen mich nicht als ihresgleichen betrachteten, erzählte der Chief mir, wie ich zu der Sippe gekommen war: Er hatte mich neben einer toten Frau mitten im Wald gefunden. Halb verhungert und fast verrückt vor Angst. Ich tat ihm leid, und so nahm er mich mit und zog mich mit seinen Kindern zusammen auf.« In Ians lakonischer Erzählweise klang es eher unspektakulär.
» Warum hat er nicht die Polizei benachrichtigt? Vielleicht gab es ja Verwandte, die dich aufgenommen hätten.«
» Die Polizei?« Er lachte rau. » Ein Zigeuner meidet die Polizei wie der Teufel das Weihwasser. Zudem war er natürlich beim Wildern gewesen. Weißt du, was die Gutsherren mit Wilderern machen? Wenn es Leute sind, nach denen keiner fragt, lassen sie sie einfach von den Hunden zerreißen wie einen Fuchs.«
Dorothea war entsetzt. » Das ist doch Mord!«
» Ohne Kläger kein Richter«, sagte Ian gelassen. » Und niemand würde es wagen, den Gutsbesitzer zu beschuldigen. Oft genug sind sie ja gleichzeitig auch Friedensrichter.«
Dorothea brauchte eine Weile, um das zu verdauen. » Wie bist du denn dann nach London gekommen?«, fragte sie schließlich. Sie erinnerte sich noch genau an die Gruppe im Gefolge des englischen Geistlichen, die vor ihnen eingeschifft worden war. Es waren einwandfrei keine Zigeuner darunter gewesen.
» Als ich älter wurde, gab es zunehmend Ärger mit den anderen
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