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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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herunterzuwälzen.
    Zitternd und keuchend setzte sie sich auf. Rudolf lag rücklings und völlig reglos auf den hölzernen Bodendielen, wie ein gefällter Baum, etwas Speichel lief sein Kinn herunter. Das Schlimmste aber waren seine Augen. Sie waren geöffnet, aber blicklos nach oben gerichtet.
    Bebend streckte sie die Hand aus, berührte ihn an der Schulter. »Rudolf?« Sie schüttelte ihn leicht.
    Nichts.
    O Gott, bitte, flehte sie still. Lass ihn nur betrunken sein!
    Sie kam auf die Füße, wankte zur Tür und riss sie auf.
    »Hilfe!«, schrie sie. Ihre Stimme hörte sich an, als gehöre sie nicht zu ihr, ganz hoch und dünn. »Hilfe!«
    Sie stürzte in die Stube. Vielleicht war noch jemand von den Hochzeitsgästen anwesend, Fedor Kelling oder Pastor Heine oder Mr Bensemann?
    Die Stube lag im fahlen Licht eines halben Mondes, der zu einem Fenster hereinlugte. Niemand von den Gästen war mehr da.
    »Lina?« Julius richtete sich verschlafen von seinem Nachtlager auf. »Was ist denn los?«
    »Ach, es …« Der Junge sollte seinen Vater nicht so sehen. »Nichts, gar nichts. Aber sag schnell, wo ist Alex?«
    Julius rieb sich die Augen, dann hob er die Schultern. »Im Schuppen, glaube ich.«
    Sie stürzte hinaus. Im geisterhaften Mondlicht waren der lange, geschmückte Tisch und Berge von benutztem Geschirr zu sehen. Normalerweise wäre es Linas Aufgabe gewesen, die Sachen fortzuräumen, aber an diesem Tag war sie natürlich von der Arbeit befreit, und sonst hatte wohl niemand daran gedacht.
    Sie rannte über den Hof und schrie erneut nach Hilfe. Dabei übersah sie, was vor ihr lag, stieß sich das Bein an einem umgefallenen Stuhl und schluchzte vor Schmerz und Angst auf.
    Sie wusste nicht, woher er auftauchte, aber plötzlich war Alexander da. »Was schreist du hier herum? Gefällt dir deine Hochzeitsnacht etwa nicht?«
    Sie fuhr herum. »Alex, dein … dein Vater! Komm schnell, es geht ihm sehr schlecht!«
    Obwohl es mitten in der Nacht war, schlief bis auf die kleine Sophie niemand im Hause Treban. Eine Kerze flackerte auf dem Küchentisch. Lina hatte den Ofen entzündet; Rieke und Julius standen daneben und hielten sich an den Händen, als könnten sie sich aneinander festhalten. Alexander lief wie ein Tiger im Käfig immer wieder von der einen zur anderen Seite der Stube, auf und ab, auf und ab. Er hatte Dr. Braun geholt. Der Arzt war jetzt schon seit einiger Zeit bei seinem Vater im Schlafzimmer.
    Niemand sprach. Die Minuten verstrichen quälend langsam, die Warterei zerrte an den Nerven. An einem Haken an der Wand baumelte Rudolf Trebans Taschenuhr, gleich neben dem einfachen Kruzifix. Lina trug noch immer ihr Nachthemd, über das sie einen leichten Schal geworfen hatte. Sie saß auf einem Stuhl in der Nähe des Ofens, mit angezogenen Beinen, die nackten Füße unter das Hemd gezogen. Ihr aufgeschürftes Bein pochte, aber sie bemerkte es kaum. Trotz der Wärme zitterte sie so sehr, als hätte sie in Eiswasser gebadet.
    Von Zeit zu Zeit warf Alexander ihr einen Blick zu und dann glaubte sie den Vorwurf in seinen Augen zu sehen. Was hast du mit ihm gemacht?, schien seine stumme Frage zu lauten. Und Lina fühlte sich tatsächlich schuldig. Hatte sie nicht in ihrem Stoßgebet um Hilfe gebeten? Aber so etwas hatte sie doch nicht gewollt!
    Auch jetzt betete sie. Stumm und flehentlich.
    Die Tür des Schlafzimmers öffnete sich und sofort wandten sich alle Köpfe um. Alexander unterbrach sein rastloses Umherwandern und blieb stehen.
    Dr. Braun schloss die Tür hinter sich und trat mit ernstem Gesicht zu ihnen. »Mrs Treban …«
    Lina zuckte bei der ungewohnten Anrede zusammen und sah den Arzt erschrocken an. »Ja?«
    »Was ist mit ihm, Doktor?«, fragte Alexander.
    »Es tut mir sehr leid«, wandte sich Dr. Braun nun an ihn, »aber ich konnte nichts mehr für ihn tun. Ihr Vater ist tot.«

Kapitel 15
    Der März hatte aus Lina binnen kürzester Zeit erst eine Braut und dann eine Witwe gemacht, aus ihrem Hochzeits- ein Trauerkleid.
    Der kleine Friedhof, auf dem Rudolf Treban seine letzte Ruhe finden würde, lag direkt neben dem Hafen. Nun kamen dieselben Leute, die auch mit ihnen Hochzeit gefeiert hatten, zu seinem Begräbnis. Passenderweise regnete es in Strömen. Ein starker Wind ließ Rockschöße und Hutbänder flattern und wehte den männlichen Trauergästen fast den Zylinder vom Kopf. Die Wellen schlugen klatschend an den Strand. Regen peitschte ihnen entgegen und drückte Lina den Trauerschleier ins Gesicht.

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