Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
dich aufzuführen, als wärst du selbst einer von diesen Wilden! Als Bürger dieses Landes bist du zum Dienst verpflichtet. Und wenn du an der Reihe bist, wirst du gehen, genau wie wir alle auch. Das ist mein letztes Wort!« Er griff nach seinem Bierkrug und prostete seinen Gästen damit zu. »Und jetzt lasst uns fröhlich sein, es ist meine Hochzeit!«
Es war nicht sein erstes Bier. Lina mochte es nicht, wenn er getrunken hatte. Er sah schlecht aus. Über dem steifen Vatermörderkragen war sein Kopf rot, seine Augen flackerten und seine Stimme schwankte leicht. Die viele Arbeit der vergangenen Wochen und der Druck von Seip bekamen ihm nicht gut.
Als Lina den Blick von ihm löste, sah sie, dass Alexander aufgestanden war. Er sagte etwas, so leise, dass sie ihn nicht verstehen konnte, dann drehte er sich um und verließ die Festgesellschaft.
Sein Vater bemerkte nicht einmal, dass er ging.
Kapitel 14
Lina zuckte zusammen, als Mr Treban – nein, sie sollte ihn ja jetzt Rudolf nennen –, als Rudolf die Tür des Schlafzimmers hinter sich schloss. Er ließ sich schwer in den Stuhl neben dem Bett fallen und strich sich über seine eingefallenen Wangen.
»Ich muss ein bisschen verschnaufen. Das war ein anstrengender Tag.«
Lina blieb verlegen neben ihm stehen. Um Mitternacht hatte man ihr den weißen Brautschleier abgenommen, denn ab diesem Zeitpunkt war sie keine Braut mehr, sondern Ehefrau. Dann hatten alle noch anwesenden Gäste das Ehepaar ins Schlafzimmer begleitet, wie es Brauch war, und sich dort mit den besten Wünschen von ihnen verabschiedet.
Im Zimmer war es warm und etwas stickig. Eine einzelne Kerze gab ein schwaches, flackerndes Licht, das unruhige Schatten auf den Wänden tanzen ließ. Das kleine Haus der Trebans war ruhig. Kaum ein Laut war zu hören bis auf einen leichten Wind, der die Blätter der Bäume vor dem Fenster bewegte, und das tiefe Buh-buk, Buh-buk des Kuckuckskauzes. Die Kinder schliefen schon lange, und wo Alexander war, wusste Lina nicht.
Sie war allein mit Rudolf Treban. Ihrem Ehemann.
Ihr Nachthemd lag ordentlich ausgebreitet auf dem Bett, seines daneben. Lina war müde und gleichzeitig schrecklich nervös. Jetzt war sie also da, die Hochzeitsnacht. Sie sehnte sich nach der kleinen Kammer nebenan, in der Rieke und Sophie nun alleine schliefen. Am liebsten wäre sie hinübergelaufen und hätte sich zu ihnen gelegt. Aber als frischgebackene Ehefrau musste sie natürlich hier schlafen.
Mit spitzen Fingern griff sie nach ihrem Nachthemd und stand dann unschlüssig da. Sollte sie sich etwa hier vor ihm umziehen? Das letzte Mal, dass sie sich vor einem Mann hatte ausziehen müssen, war in Hamburg gewesen, als man sie und Rieke auf körperliche Schäden untersucht hatte. Damals war es ihr nur entsetzlich peinlich gewesen. Jetzt hatte sie auch noch Angst.
»Nun mach schon, ich schau schon nicht hin!«
Sie schluckte, zögerte, dann nickte sie. Es half ja nichts. Sie drehte Rudolf den Rücken zu und begann mit zitternden Fingern, die kleinen Verschlüsse aufzuknöpfen, die ihr gutes schwarzes Kleid am Hals schlossen. Langsam, einen nach dem anderen, als könnte sie damit das Unvermeidliche hinauszögern. Als alle Knöpfe offen waren, streifte sie das Kleid ab. Jetzt trug sie nur noch ihr Hemd. Sie zog ihre dünnen Lederschuhe aus, löste die Strumpfbänder und legte die langen braunen Strümpfe ab, dann schlüpfte sie hastig aus ihrem Hemd. Genauso eilig streifte sie das bodenlange, frisch gewaschene Nachthemd über.
Erst dann wagte sie, sich umzudrehen.
Rudolf sah sie aus leicht glasigen Augen an. Also hatte er ihr doch zugesehen … Hitze schoss ihr in die Wangen.
»Hoffentlich bringst du mir ein bisschen Glück, Lina«, sagte er mit schwerer Zunge. »Manchmal wünschte ich, ich wäre daheim in Deutschland geblieben. Dieses Land hier hat es noch nicht gut mit mir gemeint. Meine erste Frau ist auf der Reise gestorben. Kurz vor meiner Ankunft haben die verdammten Wilden meinen Bruder umgebracht. Und mein Sohn …« Er brach ab, als fehlten ihm plötzlich die Worte.
»Der Sohn? Alexander?«, fragte Lina, plötzlich hellwach. »Was war mit ihm?«
»Ich glaubte, auch er wäre tot … Nirgends war eine Spur von ihm.« Rudolfs Blick verlor sich irgendwo in der Vergangenheit. Dann kehrte er zu ihr zurück.
»Was? Was war denn passiert?« Lina musste an Alexanders Tätowierung denken und daran, wie freundschaftlich er mit den Maori umgegangen war. Ob sie nun endlich Antworten bekommen
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