Die Rueckkehr
Brustkorbs zeigt äußerlich alle Merkmale eines menschlichen Schädels, ist aber durch geologische Einflüsse, die ich nicht verstehe, verformt wurden. Wir werden Kernspin- und Computertomografien durchführen müssen, um uns eine Vorstellung davon verschaffen zu können, was sich darin befindet. Außerdem – der Prozess der Fossilisation dauert Tausende von Jahren, und trotzdem haben wir es hier offenbar mit den fossilen Überresten eines höchst modernen Menschen zu tun. Eines Menschen also, genau wie jeder, der vor dreihunderttausend Jahren aus der Olduvai-Schlucht hervorging und unseren Planeten besiedelte. Ein moderner Mensch. Homo sapiens. Ein Mensch, genau wie Sie. Ein Rätsel. Diese Knochen waren Kräften ausgesetzt, die wir noch nicht verstehen. Wie gesagt, das ist alles wirklich sehr aufregend.«
»Es sieht aus, als wären sie … verzehrt worden.«
»Ja«, sagte sie und warf einen Blick nach unten. »Der Eindruck entsteht. Als seien sie einem Prozess unterworfen worden, der sie in diese Form gebracht hat. Intakte Skelette dieser Art finden wir nicht oft. Als wären die Knochen von einer Art Hitze oder Energie zusammengeschweißt worden. Knochen werden von Tieren zerstreut. Sie sind Wind, Ebbe und Flut ausgesetzt. Erosion, Flugsand. Und doch haben wir es hier mit zahlreichen menschlichen Überresten zu tun, alle intakt. Es gibt noch mehr, haben Sie gesagt? Viel mehr?«
»Ja. Die Taucher haben sie am ganzen Ufer gesehen. Hunderte waren schon mit bloßem Auge zu entdecken. Noch mehr liegen tiefer im Wurzelwerk begraben.«
Sie sah aus, als würde sie vor Ekstase in Ohnmacht fallen. Lemon war nur allzu bereit, ihr dabei zur Hand zu gehen, falls sie ihn darum bat.
»So viele? Das ist ja herrlich! Man wird sie ausgraben müssen. Eine offizielle Ausgrabung muss beantragt werden. Das katapultiert Ihre Stadt an die vorderste Front der anthropologischen Forschung. Ich kann mir gut vorstellen, dass man diese Gebeine nach Ihnen benennt.«
»Aber es handelt sich eindeutig um menschliche Gebeine?«
»Aber ja. Daran besteht kein Zweifel. Fossilisierte menschliche Gebeine natürlich. Es gibt keine Spuren von organischem Material. Sonst würden wir herausfinden müssen, aus welcher Kultur dieser Mensch stammen könnte, und dann, wenn die Ergebnisse vorliegen, müssten wir das Relikt nach den Riten dieser Kultur bestatten – sehr kompliziert. Um diese Komplikationen werden wir hier herumkommen. Es handelt sich um Replikate von etwas, das einmal menschlich war, ganz wie die Gestalten, die in den Ruinen von Pompeji entdeckt wurden. Nach allem, was ich gesehen habe, vermute ich, dass diese Objekte sich an den Ufern Ihres Flüsschens in einem Zeitraum von Hunderten, vielleicht Tausenden von Jahren angesammelt haben. Durch welche Art Prozess sie verzehrt – oder, dramatischer ausgedrückt, verschlungen – worden sind – diese faszinierende Frage werden wir klären müssen.«
Sie beendete ihre atemlose Ansprache und sah aus, als wollte sie ihn gleich umarmen.
»Jawohl, Mr Featherlight, das ist ein unglaublich aufregender Fund. Der wichtigste und aufregendste Fund meiner Laufbahn. Sind Sie nicht auch begeistert?«
Lemon war begeistert, anfänglich. Und dann begriff er, was diese Walküre ihm erzählt hatte.
Etwas fraß Menschen und spuckte ihre Überreste in den Tulip River. Und was es auch sein mochte, es war schon sehr lange dabei. Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren, der Walküre zufolge. Die Cherokee hatten einen Namen für dieses Wesen. Tal’ulu , die Seelenfresserin.
Und sie lebte im Crater Sink.
Er saß in seinem Auto und dachte über die Folgen dieser Entdeckung nach, als sein Handy piepste.
DORIS GODWIN
Doris Godwin. Sie fiel ihm rasch wieder ein. Doris Godwin war die Straßenbahnfahrerin, die ihm dabei geholfen hatte, Rainey von Tallulahs Wall herunterzubekommen.
Er drückte auf ANTWORTEN .
»Doris …«
»Mr Featherlight … Lemon … ich bin gerade ein bisschen durcheinander. Vielleicht können Sie mir helfen. Wie geht es übrigens dem kleinen Jungen?«
Lemon hielt sich bedeckt.
»Es war eine Art Anfall. Er wird neurologisch untersucht …«
»Ja? Das könnte ich auch brauchen. Ich habe gerade einen wirklich schlechten Tag. Kann ich Ihnen ein paar JPEG s schicken?«
»Klar. Ja. Natürlich. Jetzt gleich?«
»Ja. Ich habe sie schon auf dem Bildschirm.«
»Ich bin bereit.«
»Okay. Sind unterwegs. Ich wollte Sie bitten, sie sich genau anzusehen und mich dann am späten
Weitere Kostenlose Bücher