Die Rueckkehr
letzte Kirchenlied, Nick. Scheiße, ich hasse Kirchenlieder.«
Eine Pause, das Pfeifen des Windes im hohen Gras.
»Pass gut auf dich auf, Nick. Tut mir leid, die Sache. Gib deinem hübschen Mädchen einen Kuss von mir.«
»Coker, es ist zwecklos. Sie erschießen dich, wo immer du dich auch versteckst.«
Stille.
»Coker, hörst du mich? Bitte antworten.«
Stille.
»Coker, bist du da?«
MONTAG
Res ipsa loquitur
Das Gerichtsgebäude von Belfair und Cullen County war ursprünglich eine katholische Kirche gewesen, und es gab noch immer je zehn holzgerahmte Fenster mit Bleiverglasung in beiden Seitenwänden, mit weiß gestrichenem Holz verschalte Wände und eine Reihe Holzventilatoren am Zedernholzgewölbe der Decke.
Wo einst der Altar gewesen war, stand jetzt die mit Schnitzwerk verzierte Richterbank, auf einem Podium, so dass sie den Raum beherrschte. Ihre Vorderseite schmückte ein Reitergefecht des Bürgerkrieges in Öl – der zweite Tag der Schlacht von Brandy Station. Hinter dem Richterstuhl hing von der Lanze eines Kavalleristen eine verblichene, mit goldenen Kordeln gesäumte amerikanische Fahne.
Auf dem Richterstuhl hatte an diesem Vormittag Richter Theodore Monroe Platz genommen, ein knorriger alter Geier mit Habichtsnase und kleinen schwarzen Augen. Er trug seine schwarze Robe und starrte Warren Smoles über die Gläser seiner stahlgerahmten Halbbrille so stechend und böse an, dass selbst ein Mann, dem jeder Anflug von Selbstzweifel fremd war wie einem Engel, nicht anders konnte, als ein leichtes besorgtes Erbeben zu verspüren. Der langgestreckte, nach Zedern- und Sandelholz duftende Raum war praktisch leer, da Judge Monroe die Öffentlichkeit von der Vormundschaftsanhörung ausgeschlossen hatte.
Auch Vertreter der Presse waren im Gebäude nicht zugelassen. Kate, Nick und ihr Anwalt Claudio Duarte, ein schlanker junger Mann mit dunkler Haut und kantigem Gesicht, das durch die großen braunen Augen noch aparter wurde, saßen an dem üblicherweise für die Anklagevertreter vorgesehenen Tisch.
Warren Smoles, der allein erschienen war, hatte man den Platz der Verteidigung zugewiesen. Rainey wartete im Büro des Richters, für den wenig wahrscheinlichen Fall, dass man ihn anhören wollte. Eine von Smoles’ »Pflegerinnen« leistete ihm Gesellschaft. Was in Raineys Kopf vor sich ging, war unerfindlich. Vom Aussehen her war er nervös, trotzig und mürrisch.
Lemon, weder Anwalt noch Familienangehöriger, war von der Anhörung ausgeschlossen, was ihm nur recht war, da er der Versuchung, Warren Smoles k. o. zu schlagen, vermutlich nicht hätte widerstehen können.
Ganz links saß eine einsame Gerichtsstenografin und sprach in ein trichterförmiges Mundstück, das die untere Hälfte ihres Gesichts bedeckte.
Einer der ersten Wortwechsel, die sie aufgezeichnet hatte, war das einleitende Geplänkel zwischen Smoles und Judge Monroe gewesen. Smoles hatte seiner Platzierung am Tisch der Verteidigung als »Voreingenommenheit gegenüber seinem Standpunkt« abgelehnt, ein Einspruch, der ihm eine kurze, scharfe Antwort des Richters eingebracht hatte.
»Ordnungsgemäß vermerkt. Papperlapapp. Bitte setzen.«
Dieser Aufforderung war Smoles klugerweise gefolgt, hochroten Kopfes.
Judge Monroe hatte beschlossen, die Angelegenheit vor der Richterbank zu verhandeln und nicht in seinem Büro, und zwar vor allem, weil der Inhalt von Warren Smoles Beschwerde ihm ausgesprochen widerlich war und er hoch über ihm thronen und die kahle Stelle auf dessen Hinterkopf sehen wollte, wenn Smoles sich vorbeugte, um aus seinen Unterlagen vorzulesen.
Judge Monroe ließ seinen Blick durch den Raum schweifen, über die diversen Anwesenden, auf die das farbenfrohe Licht aus den Buntglasfenstern in der Ostwand fiel. Sein Blick ruhte eine Weile auf Kates Gesicht, und er sah das Leid und den Schmerz darin.
Er mochte Kate, bewunderte sie und kannte sie und ihre Familie seit vielen Jahren, weshalb er sie überhaupt erst gebeten hatte, die Vormundschaft über Rainey zu übernehmen.
Aber dass dieses ursprünglich harmlose Ersuchen sie nun vor diese unerträgliche Prüfung stellte, bereitete ihm Magenschmerzen, die er mit Schlucken aus einem hohen Glas, gefüllt mit Eis und einer klaren Flüssigkeit, zu stillen suchte; Leitungswasser war es nicht.
Er blickte auf die Uhr an der Rückwand, wartete, bis der Minutenzeiger auf die Zahl 10 vorgerückt war und ließ dann seinen Hammer niedersausen.
»Also. Dann mal los mit dieser Farce.
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