Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman
ich mir den Kopf darüber zerbrach, wie das möglich sein konnte, fand ich keine Erklärung. Nach einer gelungenen Vorstellung am Abend des dritten Tages war ich fest entschlossen, der Ursache auf den Grund zu gehen. Seit Maria und ich zusammen arbeiteten, hatte ich alles getan, um mich von ihrer Schönheit nicht beeindrucken zu lassen, und deshalb war ich ihr gegenüber oft sehr kurz angebunden, sodass wir im Grunde nicht viel miteinander gesprochen hatten. Aus diesem Grund war ich geradezu verschämt, als ich sie, anstatt ihr gute Nacht zu wünschen, fragte, ob ich kurz reinkommen dürfe. Ich war willkommen. Maria kochte Kaffee, und wir setzten uns. Da ich nicht genau wusste, wie ich mich verhalten sollte, fing ich an, über die Vorstellungen zu reden. Bald merkte ich, dass Maria in ihre eigenen Gedanken versunken war, und wollte sie nicht weiter langweilen. Ich stand auf und schwafelte, es sei ein langer Tag gewesen, wir müssten uns ausruhen und noch mehr derlei Geschwätz. Langsam ging ich zur Tür, und sie folgte mir. Sie hatte die Clownsperücke abgesetzt und sich abgeschminkt. Ihr Haar fiel glatt auf ihre Schultern, und ich konnte verdammt noch mal sehen, wie sich ihre Brüste unter ihrer Bluse abzeichneten. Sie stand ganz nah bei mir und schaute mir lächelnd in die Augen, genau so wie bei unserer ersten Begegnung auf dem Bahnsteig. Bot sie sich mir an? War sie eine Prostituierte?
Natürlich ist sie eine Prostituierte
,schoss es mir durch den Kopf. Ein Verlangen, das ich bisher verdrängt hatte, überkam mich. Ich griff nach ihrem Arm, zog sie zu mir und wollte sie küssen. Doch als ihr Körper gegen meinen prallte, hatte ich ein so unangenehmes Gefühl, dass ich sie sofort wieder losließ. Es war, als hätte mich eine Wildkatze angesprungen. Maria schaute mich besorgt an. Ich schämte mich und spürte Wut in mir hochkochen. Wie schon so oft, seit wir uns kennengelernt hatten, versuchte ich, ihre Schönheit zu ignorieren, aber diesmal schaffte ich es nicht. Es kam mir fast so vor, als schiene ihr Körper durch ihre Kleidung hindurch und bäte darum, angefasst zu werden. Erneut zog ich sie an mich, um sie zu küssen, aber es war wieder dasselbe, nur dass ich diesmal das Gefühl hatte, von einem Tiger angesprungen zu werden. Ich wich zurück und stützte mich an der Wand ab.
»Fühlst du dich nicht gut, Michael?«
»Ja, ich, nein, ach.«
»Warte hier, ich hole einen feuchten Lappen, damit du dir den Schweiß abwischen kannst.«
Während Maria ins Bad ging, schlich ich mich aus dem Zimmer und zog die Tür hinter mir zu.
Bei der Mittagsvorstellung am vierten Tag war ich ziemlich zurückhaltend. Maria und ich hatten vor der Vorstellung nicht zusammen gegessen, und ich mied jeglichen Kontakt zu ihr. Sie kümmerte sich um alle ihre Aufgaben selbst. Draußen war es stechend heiß, der Himmel war wolkenlos, und die Sonne strahlte. Die Vorstellung hatte sich herumgesprochen, und es kamen viele Zuschauer. Zunächst nahm alles seinen gewohnten Lauf. Ab und zu warf ich Maria einen verstohlenen Blick zu. Die Leute flüsterten und zeigten auf sie. Jetzt ließ sich kaum mehr verleugnen, dass ihr Clownskostüm durchsichtig war. Viele verfolgten die Vorstellung nicht mehr und glotzten nur noch Maria an, die aufallen Vieren zwischen den Kindern herumkroch und versuchte, sie zur Ruhe zu bringen. Als die Solonummern beendet waren, schaltete ich zu spät um, und das Getriebe kam ins Stocken. Eigentlich sollten jetzt alle Nummern gleichzeitig ablaufen, und die Leute schauten erwartungsvoll zum Schrank. Ich versuchte, Maria zu signalisieren, dass man durch ihr Kostüm hindurchsehen konnte, aber sie verstand mich falsch und stand auf. Das machte die Sache nicht besser, und nun flogen auch noch die Teller der chinesischen Balanceartisten in den Käfig des Löwenbändigers. Ich hatte vergessen, die Stromspannung zu kontrollieren. Während ich den Fehler behob, hörte ich Geschrei im Publikum. Als ich aufschaute, starrten alle Leute Maria an. Es bestand kein Zweifel mehr: Ihre Kleider waren so durchsichtig geworden, dass sie kaum mehr zu erkennen waren. Als ich versuchte, Maria darauf hinzuweisen, missverstand sie mich und deutete im Gegenzug auf den Zirkus. Ich hatte vergessen, den Feuerschlucker einzuschalten, die Flamme entzündete sich nicht, und die Akrobaten landeten auf ihm. Ich reagierte sofort und schaltete den Feuerschlucker ein, die Feuersäule stieg auf, aber gleichzeitig kroch die Flamme zu den Seiten des Schranks und
Weitere Kostenlose Bücher