Die Rückkehr der Jungfrau Maria - Roman
Balkongeländer prallenund nicht auf den Platz fallen würde. Falls das Geländer hielt, wollte ich rüberbalancieren oder es zumindest versuchen.
Anstatt die Winde sofort auf die stärkste Stufe zu stellen, zog ich das Drahtseil fest und lockerte es wieder. Dies wiederholte ich in der nächsten Dreiviertelstunde in gleichmäßigen Abständen, in dem Glauben, dass ich die Türangeln nach und nach lösen konnte. Allmählich verstärkte ich den Zug. Inzwischen war es vier Uhr morgens, und die Tür hatte noch nicht nachgegeben. Ich war eine halbe Stunde hinter meinem Zeitplan, wollte aber trotzdem nicht alles aufs Spiel setzen. Eine weitere halbe Stunde straffte und lockerte ich das Seil im Wechsel, diesmal mit beträchtlichem Zug. In eineinhalb oder zwei Stunden würden die ersten Frühaufsteher im Dorf unterwegs sein, sodass ich es jetzt darauf ankommen lassen musste. Doch als ich das Seil noch weiter anzog, begann die Winde zu schleifen. Ich stellte das Seil fest und betastete es. Es würde nicht mehr viel Spannung aushalten. Ich lockerte es ein wenig und umfasste es dann mit der Hand.
»Na komm schon, in Gottes Namen, komm schon.«
Ich zog die Winde fest an und spürte einen heftigen Ruck durch das Seil gehen. Im Turm blinkte es hektisch. Ich nahm das Fernglas. Maria trat auf den Balkon und winkte.
Jetzt darf ich keine Zeit verlieren.
Auf dem Platz war niemand zu sehen. Ich kletterte aus dem Fenster und stellte mich auf das Hochseil. Während ich mich ausbalancierte, stützte ich mich an der Wand ab und schaute ein paar Mal nach unten. Ich wollte mich gleich auf die richtige Höhe einstellen und mir nicht einreden, ich befände mich in zehn Metern Höhe, mit einem Sicherheitsnetz unter mir. Ich befand mich in vierzig Metern Höhe, mit einem gepflasterten Platz unter mir, und der Weg führte fünfzig Grad nach oben. Es war unmöglich, diese Tatsache zu ignorieren, daher akzeptierte ich sie einfach.
Die ersten Schritte waren am schwierigsten. Nach zehn Metern merkte ich, dass es nur eine Frage der Ausdauer war. Den Blick fest auf Maria geheftet, machte ich einen Schritt nach dem anderen, ohne zwischendurch stehenzubleiben. Als ich ein gutes Stück vorangekommen war, fuhr ein Auto über den Platz, und ich blieb stehen. Es war wesentlich schwieriger, die mentale Balance zu halten, wenn man stillstand, und als das Auto weg war, rannte ich fast weiter. Jetzt sah ich Marias Gesicht endlich klar und deutlich und hatte nur noch ein paar Schritte vor mir.
»Hallo Maria, ich habe es so vermisst, dich mit Obstsalat zu bewerfen, dass ich einfach kommen musste.«
Ihre Augen waren feucht vor Tränen. Als ich auf das Geländer stieg, zog sie mich zu sich. Ich wusste nicht, ob sie mich schlagen oder umarmen wollte.
»Ich hatte solche Angst, dass du nicht kommst«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme.
»Natürlich bin ich gekommen.«
»Du darfst mich nicht noch mal verlassen.«
»Das mache ich nicht, nicht freiwillig«, versprach ich.
»Du darfst mich nie verlassen.« Sie weinte und seufzte schluchzend: »Ich hatte solche Angst, dass ich dich nie mehr wiedersehe.«
Um sie zu trösten, küsste ich die Tränen von ihren Augen, und als ich wieder sprechen konnte, sagte ich:
»Entweder wir verbringen hier zusammen den Morgen oder …«
Sie fiel mir ins Wort und sagte entschieden:
»Ich will nicht zurück in dieses schreckliche Gefängnis, du musst mich über das Seil tragen.«
Ich hatte eher damit gerechnet, dass Maria sich nicht mit mir zurücktrauen würde, und war nun ein bisschen erschrocken.
»Es ist schwieriger, abwärts zu balancieren«, erklärte ich, »es ist lebensgefährlich, und ich kann dir nicht versprechen …«
Sie legte ihre Finger auf meine Lippen und sagte:
»Ich habe keine Angst.«
»Ich habe schreckliche Angst«, gab ich zu.
»Ich habe keine Angst«, wiederholte sie, »ich freue mich darauf, weil ich weiß, dass du es schaffst.« Sie strich mir mit den Fingern durchs Haar, bedeckte mein Gesicht mit Küssen und flüsterte zwischendurch immer wieder: »Du schaffst es, Michael, du schaffst es …«
Ich nahm sie auf den Arm und stieg auf das Balkongeländer. Sie klammerte sich nicht an mich, als ich einen Fuß auf das Seil stellte, was ich als gutes Zeichen ansah. Sie glaubte tatsächlich, dass ich es schaffte. Ich brauchte ein paar Augenblicke, um meinen Mut zusammenzunehmen und die Höhe zu realisieren. Siebzig Meter abwärts bis auf den gepflasterten Platz, und mit Maria auf dem Arm konnte
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