Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Titel: Die Rückkehr der Karavellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
Vom Netzwerk:
diese Gassen und ihre trügerischen Schatten nicht kenne, weil ich nur den Hafen und die Fischkutter buchstabieren kann, die am Tag anwesend und nachts abwesend sind, abgesehen von den Raben und die vom Gestank des Verstorbenen erregten Möwen, die auf der Suche nach dem fauligen, im Grab aus Lack verborgenen Fleisch auf dem Kruzifix herumpickten.
    – Eine Leiche?, argwöhnte der Gefreite. Eine Leiche oder amerikanische Zigaretten, mein Freund? Gitanes, Marlboro, Anis, französische Parfums, Wermut, ein Dutzend japanischer Batterieradios? Wollen Sie mir weismachen, daß Sie eine Leiche da drin haben?
    Er warf die Zigarettenkippe weg, und das kleine Licht irrte durch die Nacht und verlosch im Tejo. Vom Bahnübergang erklang schlaftrunkener Zorn von Weckern, und die Fenster des Zehnuhrbummelzuges folgten hinter den Büschen in glitzernden Quadraten aufeinander und trugen die
Arbeiter des Jerónimosklosters zu den Vorortsvierteln ohne Strom und Gas, in denen Betrunkene und Hündinnen an den Ecken Wut auskochten. Ein paar Polizisten trugen, vom Gefreiten herangepfiffen, den Sarg in das Backsteinbüro voller zerstörter, an die Wände geschobener Schreibtische, alter Metallaktenschränke und an mit einer Stecknadel an eine Korktafel gepinnter Dienstanweisungen und Aufstellungen verschwundener Schiffe, links daneben in seinem Rahmen das Foto des Präsidenten der Republik, der mit der visionären Dummheit von Helden in die Ewigkeit blickte. Die Polizisten lockerten hockend die Schrauben, lösten mit dem Taschenmesser die Spitzen des Futters, ein Ammoniakwind stieg aus dem Sarg auf, und der Mund des Präsidenten auf dem Foto verzog sich zu der Zahnschmerzgrimasse, mit der er viele Jahre lang über der Tafel am Einmaleins der Schulen teilgenommen hatte.
    – Sobald das Schiff mit meinen Sachen festmacht, versprach ich, werde ich ihm, das schwöre ich, einen ordentlichen Grabstein bezahlen.
    In der Nähe der Lampe reinigte sich der Gefreite, ohne Mütze nackter, als wäre er ausgezogen, die Nägel mit einem Streichholz, er ähnelte den Ebbealgenfischern, obwohl er Gamaschen und am Gürtel eine Patronentasche trug, um die Flußaale zu ermorden. Oder die Fledermäuse. Oder die Züge. Oder den Turm zum Bekämpfen der Kastilier. Oder meinen Vater, der sein Blei in Loanda geschluckt hatte und ganz allmählich zu einem Morast aus Eingeweiden wurde.
    – Scheiße, sagte einer der Polizisten angeekelt, während er sich die Nase mit dem Zwillichärmel zuhielt. Sehen Sie sich mal dieses kleine japanische Radio an, mein Gefreiter.

    Eine Lokomotive durchquerte den Seenotrettungsdienstposten, warf Karteikästen und Stühle um, und nun sahen mich die drei, von einem Bettuchzipfel verdeckt, erstaunt wie Jungfrauen an, und da wuchs ich mit einem kleinen demütigen Entschuldigungslächeln einen Schritt weit näher:
    – Wenn die Herren den Sarg wieder zunageln würden, wäre ich Ihnen dankbar; denn ich habe sonst nichts, worauf ich mich auf den Kai setzten kann, bis das Schiff kommt.

D ie Pension Apóstolo das Índias lag nicht, wie ihnen der Siegelbewahrer versichert hatte, am Largo de Santa Bárbara, sondern auf einem hinter den Gebäuden zwischen der italienischen Botschaft und der Militärakademie gelegenen verlorenen, abschüssigen Gelände. Es handelte sich um ein heruntergekommenes Haus zwischen lauter heruntergekommenen Häusern, vor denen eine auf Brachland in Zelten untergebrachte Gruppe von Landstreichern um einen kranken Ziegenbock herum schreiend miteinander redete. Er fragte einen Mestizen mit verschwiegenen Augen, kleine Jungen, die mit einem Stock im Müll herumstocherten und einen an einen verrosteten Anker geklammerten alkoholisierten Überlebenden ferner Meere nach der Adresse, und sie gingen, über Bretter von Baugerüsten stolpernd um angekohlte Wände, Mauerreste und Treppen zu Wohnungen herum, in denen niemand war, und in denen nachts durch die Ritzen in den Fensterläden Positionslichter von Schiffen glitten. Ein Taubenschwarm erschrak auf einem Dachsturz, flog fächerfömig auf und verlor sich in einem Himmel voller Schornsteine. Unten, in der Rua de Arroios, wo Sielarbeiten und ein Schaufelbagger den Verkehr verstopften, gab es sieche Kurzwarenhändlerinnen,
Prostituiertenbars und miese Krämerläden mit Horden von Arbeitern, die den brennenden Docht ihres Tresterschnapses im Leuchter ihrer Hand hielten. Eine brillantinefeuchte Ratte flüchtete aus einer Wasserrinne, lief die versandeten Stufen entlang und

Weitere Kostenlose Bücher