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Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Die Rückkehr der Karavellen - Roman

Titel: Die Rückkehr der Karavellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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hinwegtrabte. Diogo Cão schnarchte, von den Taranteln und Schlangen der Betrunkenen überfallen, von Minute zu Minute lauter, erschlug imaginäre Eidechsen mit der flachen Hand, und sie beruhigte ihn, indem sie Leuchtturmswärterweisen und die sinnlosen Worte von Kinderwiegenliedern in sein Ohr wisperte. Das Zimmer füllte sich mit einem Meerbusenduft nach wurmstichigem Holz und nassen Segeln. Der Fußboden schwankte wie das Schiffsdeck am Morgen eines Unglücks. Der Mund schmeckte nach Algenfäden und dem Phosphoreszieren der Gischt, und die Frau, die, den Bauch nach oben, in ihrer Koje melancholischer Lüste und barmherziger Liebkosungen lag, versank allein in der verwunderten Betäubung vorgezogener Weihnacht.
    Sie wachte vor fünf Uhr von einer Befehlsstimme geweckt auf, die aus dem Kabuff herausdrang und sich über das Gebäude hinaus über Straßen und Plätze erstreckte und forderte, die Kajüte möge vor seinen von der Müdigkeit der Freude noch rauchigen Augen umgehend geöffnet werden. Vor ihr stand, einen Schuh in der Faust, die Koteletten zerzaust und den Mantel an der Jacke zugeknöpft, der Admiral und starrte sie in seiner gewohnten morgendlichen, durch das Abführmittel der Wassergläser vom Vorabend noch verstärkten geistigen Klarheit an, und seine Pupillen durchdrangen meine Gefühle und Empfindungen, umschifften die Ecken der Erinnerung und maßen mein Kabuff einer armen Hure auf der Insel von Loanda mit der Wäscheleine zwischen zwei spindeldürren Palmen, keine Tejonymphen in Sicht, und auf dem Balkon gluckste der Wellensittichkäfig.

    Diogo Cão wies mit zwei Schritten auf dem unsicheren Deck seiner Erinnerungen die Zeit als Zählerableser und nächtlicher, auf die Barmherzigkeit einer Alten in einem Armenviertel elender Gestalten angewiesenen Bettler von sich und gab die Bars von Angola und die ungeordneten Beine der Tänzerinnen umgehend der Vergessenheit anheim, nahm seine nautische Befehlsgewalt über die tausend Blütenblätter der Windrose und die schwarzen Büffel der Riffe wieder auf, trat ans Fenster, wobei ihm die Säume des Mantels um die Knie flatterten, stützte sich auf das Steuerrad der Fensterbank und brüllte, die Haarsträhnen nach Seixal gewandt, zum Platz hinunter und ließ damit die Bettler der Arkaden und die Krüppel der Boleros auffahren, die von der Ruhe der Möwen gewiegt vor sich hin schlummerten:
    – Leck am Bug, Rettungsboote zu Wasser lassen.
    Die Stimme hatte noch ihre einstige Autorität, mit der er Manöver anordnete, die jeder nautischen Logik entgegenstanden und die Besatzung, die auf die Schreie, die sie führten, vertraute, zwang, ihm ohne Zögern zu gehorchen. Er allein hatte meuternde Söldner vernichtet, Barone nur mit dem Heben einer Augenbraue unterworfen, und ungehorsame Bootsmaate erhängten sich selbst an den Masten, wenn er die runden Muscheln seiner Nasenlöcher zufällig in ihre Richtung wandte. Die Frau hingegen blieb reglos im Bett liegen, hatte den Zimmerschlüssel in einem Matratzenloch verschwinden lassen: Sie sah einen Taubenschwarm vom Schrei des Entdeckers verstört in einer Ellipse kreisen. Sah die Statue von König D. José I. seinen stehenden Galopp beschleunigen. Sah die Dächer am Hang unter der Burg, die
sich in der zerstörerischen Panik verwundeter Rhinozerosse durch die Alfama drängelten. Spürte im Zimmer den unheilvollen Schwefelgeruch sturmgepeitschter Meere. Erlebte, wie ein Blitz vom Dach herunterkam, um den Nachttopf aus Keramik zu Staub zu machen. Ertrug, daß die Porzellanaschenbecher und die Zinnvasen vom einzigen Bord fielen, das sie besaß. Hielt sich mit aller Kraft am Kopfteil des Bettes fest, um nicht von einem Bettlakentaifun mit gegen die Wand gerissen zu werden. Und sie bewahrte vollkommene Gelassenheit, die sie noch, kaum daß sie sich wieder an die Oberfläche der Bettücher gekämpft hatte und sich von einer Gardine befreit hatte, die ihr den Hals würgte, mit fünf ruhigen Worten abrundete, die im Zentrum des Sturmes fielen wie ein Stein in einen Brunnen:
    – Hör mit dem Scheiß auf.
    Diogo Cão spürte sprachlos in der Klangfarbe den Meeresschneckennachhall eines uralten Akzentes und sah sich wieder als Kind mit Korkenzieherlocken vor einer Dame mit Haarknoten und Schürze, die mit ausgestrecktem Finger neben dem Holzkohleherd in der Küche stand. Schwindlig vor Verwirrung schloß er eilig das Fenster und betrachtete aus dem Augenwinkel furchtsam die Frau, die ihm unvermittelt im Alter von einundsiebzig

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