Die Rückkehr der Templerin
ihren Willen lachen. Das Mädchen fand offensichtlich mit jedem Moment mehr Gefallen an dem Spiel, das sie spielten - und warum auch nicht? Ihre Verkleidung war immerhin gut genug gewesen, selbst einen Assassinen zu täuschen, und Salim hatte den Mann gewiss nicht wegen seiner Unzuverlässigkeit ausgewählt. Darüber hinaus wusste niemand, dass sie in der Stadt war. Genau genommen wusste nicht einmal jemand, dass es sie überhaupt gab. Nein, versicherte sie sich noch einmal selbst in Gedanken, ihre Tarnung war perfekt. In dem schlichten schwarzen Kleid und mit ihrer dunkleren Haut würde sie nicht einmal Dariusz erkennen.
»Warum nicht?«, stimmte sie achselzuckend zu. »Geh voraus.«
Nichts anderes - das machte der spöttische Blick klar, den Nemeth ihr über die Schulter zuwarf, hatte das Mädchen vorgehabt. Robin sagte auch dazu nichts, nahm sich aber vor, es damit gut sein zu lassen. Nemeth war in geradezu euphorischer Stimmung, was sie ihr gönnte, aber sie war ein Kind, und sie musste aufpassen, dass sie in ihrer Ausgelassenheit nicht sie beide in Gefahr brachte.
»Es ist ein Umweg«, sagte Nemeth, »aber wir könnten am großen Tempel vorbeigehen. Würde Euch das gefallen?«
Robin signalisierte mit einem stummen Nicken ihre Zustimmung, und Nemeth wandte sich am Ende der Straße abermals nach links, sodass sie sich nun wieder in Richtung des Josefstores bewegten, durch das sie die Stadt auch betreten hatten, wie Robin von Saila erfahren hatte. Endlich aber lag der gewaltige Komplex des Templum Domini vor ihnen. Die riesige goldene Kuppel und die Wände aus glasierten, blauen Ziegeln des Gebäudes beeindruckten Robin über die Maßen, aber sie gaben ihr auch das Gefühl, winzig und unwichtig zu sein, und das auf eine unangenehme, demütigende Art. Nie zuvor hatte sie ein solches Gotteshaus gesehen. An seinen wuchtigen Mauern, den kantigen Linien und den riesigen Torbögen war etwas, das sie schaudern ließ. Kathed r alen, so hatte Bruder Abbé ihr einmal erklärt, werden gebaut, um den M e nschen Gottes Größe und Allmacht vor Augen zu führen. Das mochte ja auch die Absicht des Baumeisters gewesen sein, der diese Kirche geplant und gebaut hatte, aber das Ergebnis wirkte - zumindest auf Robin - ganz anders. Dieses Gebäude führte ihr nicht die Größe Gottes vor Augen, sondern die Kleinheit des Menschen. Der Gott, zu dessen Lobpreisung und Ehre dieses Monstrum von Kirche gebaut worden war, konnte sich gar nicht für die Schicksale der Menschen interessieren.
Am Ende des Platzes neben dem Templum Domini lag ein wuchtiger Palast, dessen Fassade von insgesamt sieben riesigen Toren gebildet wurde: das Hauptquartier der Templer, nicht nur hier in Jerusalem. Auch über diesem Gebäude erhob sich eine Kuppel, die jedoch viel kleiner war als jene des Templum Domini. Robin fühlte sich angesichts der gigantischen Abmessungen nicht nur des Platzes, sondern auch der riesigen Gebäude ringsum verloren. Eine sonderbar gestaltlose, aber tiefe Enttäuschung begann sich in ihr breit zu machen. Sie fragte sich, warum sie überhaupt hierher gekommen war. Als sie sich dem Tempel genähert hatten, da hatte sie es fast bedauert, statt des einfachen schwarzen Kleides nicht ihr Templergewand angelegt zu haben. Obwohl farbige Burnusse, Kopftücher und Turbane auch in der heiligsten Stadt der Christenheit weit in der Überzahl waren, stellte auch der Wappenrock eines Templers oder eines anderen christlichen Ritters nichts Außergewöhnliches dar, und in ihrem weißen Ordensgewand hätte sie die Kirche ohne Probleme betreten dürfen. Noch vor zwei Wochen hätte sie ihr Leben für einen einzigen Blick in diesen heiligsten aller Orte riskiert. Jetzt war sie nicht einmal mehr sicher, ob sie ihn überhaupt noch sehen wollte.
»Starrt den Tempel nicht so an, Herrin«, zischte Nemeth. »Ihr zieht bereits neugierige Blicke auf Euch.«
Robin hätte beinahe widersprochen und sie angefahren, ob sie sich als Templer etwa nicht das Hauptquartier ihres eigenen Ordens ansehen dürfe, bis ihr im letzten Moment einfiel, dass sie nicht als Tempelritter auf dem Platz stand, sondern als einfache muslimische Frau ohne Stand und Rang. Schließlich kannte sie ihre Ordensbrüder gut genug, um zu wissen, dass schon ein falsches Wort oder ein zu neugieriger Blick ausreichen konnte, um sie als Spionin zu verdächtigen.
»Hast du nicht etwas … von einem Basar gesagt?«, fragte sie stockend.
»Auf der anderen Seite des Berges«, bestätigte Nemeth.
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