Die Rückkehr der Zehnten
zerrte ihn zu Mokosch hinter die Truhe.
Mokosch weinte haltlos. Trotz ihrer dreißig Jahre kam sie Lis vor wie ein Kind, dessen Wirklichkeit in sich zusammenstürzte. Gerne hätte sie sie in den Arm genommen und beschützt, aber dazu blieb keine Zeit. Der Krieger, den Marzana nun bedrohte, wich zurück. Offensichtlich war er unsicher, was er tun sollte. Vor sich hatte er die Fürstentochter, der er bisher Gehorsam und Respekt geschuldet hatte, und hinter ihm stand sein Herr, der Fürst, immer noch in der Tür.
»Töte auch sie«, zischte Fürst Dabog ihm zu. »Tod der Verräterin. Tod allen Verrätern.« Er war so blass, als stünde er kurz vor dem Zusammenbruch.
Lis gingen seine Worte durch Mark und Bein. Marzanas Miene drückte dasselbe ungläubige Erstaunen aus, das auch der Krieger zu verspüren schien. Nach einem kurzen Zögern griff er an. Marzanas Gesicht verzerrte sich vor Enttäuschung, Tränen rannen ihr über die Wangen, doch sie kämpfte weiter. Lis konnte nur ahnen, was in ihr vorgehen musste.
Ein Schatten fiel auf die blitzenden Klingen. Lis blickte nach rechts zum Fenster. Wie Schattenrisse erschienen erst zwei Sarazenen, dann fünf, dann sieben. Immer mehr von ihnen erklommen die Brüstung und sprangen in den Raum. Das Seil vibrierte. Katzenhaft flink kletterten mehr und mehr Sarazenen durch das Fenster.
Intisars Wange war blutüberströmt, sie keuchte, doch immer noch waren ihre Blicke gnadenlos. Mit zwei scharfen Rufen wies sie ihre Leute zurecht, die auf der Stelle begriffen, dass Marzana nun zu Intisar gehörte. Endlich zog auch Fürst Dabog sein Schwert.
»Intisar, pass auf!«, rief Lis, doch die Desetnica reagierte bereits und brachte sich mit einem Sprung in Sicherheit. Zwei Sarazenen schlossen die Lücke und trieben Dabog und seine Krieger in die Ecke. Ein Kupfermesser flirrte durch die Luft. Lis sah es, doch für Marzana war es zu spät. Als sie ihren Schild hochriss, steckte das Messer bereits unter ihrem Schlüsselbein. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, dann fiel sie vornüber, ohne einen Laut von sich zu geben. Der Krieger, der das Messer geworfen hatte, brüllte und griff erneut an. Die Wucht von fünf Pfeilen warf ihn zurück, er flog durch die Luft, prallte auf dem Boden auf und schlitterte ein paar Meter weit, bevor er reglos liegen blieb. Kupfer klirrte auf Stein, als die letzten drei Krieger, die das kalte Metall von Sarazenenbeilen am Hals spürten, ihre Schwerter fallen ließen.
Intisar erhob sich schwer atmend. Draußen war der Kampflärm lauter denn je – mit dem Unterschied, dass er nun von beiden Seiten, vom Meer und von der Stadt, her zu kommen schien. Offensichtlich hatten die Sarazenen es geschafft, in die Stadt zu kommen und dem Fußheer und den Reitern die Tore zu öffnen.
Das Palastzimmer war völlig verwüstet – die Vorhänge hingen in Fetzen, und mit Ausnahme der Truhe, hinter der immer noch Mokosch kauerte, war jedes Möbelstück in Stücke gehackt oder zerbrochen. Götterfiguren, die wie gefallene, zerstückelte Krieger aussahen, waren überall verstreut. Der Geruch nach Schlachthaus ließ Lis würgen. Tote und verwundete Krieger lagen mit verrenkten Gliedmaßen am Boden. Hier und da hörte man Stöhnen. Aladar ging taumelnd in die Knie und hielt sich seinen verletzten Arm.
Inmitten dieses Chaos standen sich Fürst Dabog und die zehnte Tochter gegenüber.
Immer noch hielt der Fürst sein Schwert in der Hand. Blasser denn je war er und blinzelte fassungslos auf seine gefallenen Krieger hinab. Langsam hob er den Kopf. Er erinnerte an einen gefesselten Tanzbären, dessen Kraft viele Jahre lang gebändigt worden war, bis er vergessen hatte, wozu er sie gebrauchen konnte. Nun schien er sich zu erinnern.
Lis erkannte zum ersten Mal, dass Intisars Augen den seinen vollkommen glichen.
Die beiden musterten sich, bis sich Fürst Dabogs Gesicht noch mehr verdunkelte.
Lis wusste nicht, ob Wut in seinem Blick flackerte oder ob es Angst war, die den alten Fürsten beben ließ. Ihr Herz schlug im Galopp und stolperte. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich in einem grausamen Traum befand, doch alles, was sie tun konnte, war, zu Mokosch zu kriechen. Mit Klauen klammerte sich die Fürstentochter an sie und beobachtete wie eine Wahnsinnige die Szene.
»Warum kommst du hierher zurück und bringst diesen Fluch über mich!«, donnerte Dabog. »In Poskurs Feuer sollst du brennen – dort hättest du vor langer Zeit enden sollen.«
Die Desetnica schien leicht zu
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