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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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dachte, sie würden sie verbrennen. »Er ist kein guter Mann, Lisanja. Haben dir das die Eidechsenknochen nicht verraten? Zoran will nur eins – er will wieder in den Palast einziehen und seine Macht zurückerlangen. Schwöre bei deinem Gott Swantewit, dass du schweigen wirst!«
    »Ich schwöre«, antwortete Lis verdattert.
    »Bei Swantewit!«
    »Bei Swantewit.«
    »Und schwöre beim Leben deiner Mutter!«
    Ein Schauder durchrieselte Lis’ Körper. Der Schreck griff ihr in den Nacken, als sie an ihre traurige Mutter dachte, die sicher über ihren Verlust fast wahnsinnig wurde. Zlata sah sie immer noch mit weit aufgerissenen Augen an.
    Lis senkte den Kopf und schluckte ihre Tränen hinunter. »Ich schwöre, bei meiner… Mutter.«
    »Gut.« Erschöpft ließ sich die Priesterin zurücksinken und schloss die Augen. »Niemand weiß von Mokosch und Pogoda. Nur ich und du jetzt. Tona darf es nicht erfahren, sie könnte es Zoran sagen. Und Zoran würde das Wissen für seine Zwecke benutzen. Er will Dabog vom Thron stoßen und er würde vor keiner Tat zurückschrecken, um an dieses Ziel zu gelangen. Und nur Poskur weiß, ob er wirklich vorhat, der Desetnica den Thron zu überlassen.«
    Lis fröstelte unwillkürlich und stellte sich Zorans gütiges Gesicht vor. Es fiel ihr schwer zu begreifen, dass er ähnlich machtgierig und skrupellos sein sollte wie Niam und die anderen. Aber vielleicht hatte Zlata Recht?
    Sie strich sich über die Stirn, um ihre Verwirrung etwas zu besänftigen, doch das Chaos in ihrem Kopf wollte sich nicht lichten. Wem konnte sie in dieser Stadt überhaupt noch trauen? Selbst die alte Priesterin spielte ihr Spiel, stellte sich harmlos und täuschte vor, nichts zu wissen. Freundlich gab sie Zoran die Hand und nannte ihn »mein lieber Junge«, um nicht selbst noch tiefer in den mörderischen Strudel der Intrigen zu geraten.
    Jetzt kann ich nur noch Levin vertrauen, sagte Lis sich. Nur meinem leichtsinnigen Bruder. Seufzend zog sie ihren geflickten Umhang enger um ihre Schultern und griff nach ihrer Tasche, die aus dem Balg einer Ziege genäht war. »Auf Wiedersehen, Zlata«, flüsterte sie, doch die alte Frau antwortete nicht.
    Als sie aus der Tür in den sonnenbeschienenen Innenhof trat, entdeckte sie eine Gestalt, die im Schatten der Hauswand stand. Nach dem ersten eisigen Schreck, der sie durchfuhr, erkannte sie voller Erleichterung, dass es nur Matej war, der an die Mauer gelehnt dastand und in die Straße spähte.
    »Du wirst beobachtet«, sagte er ohne seinen Blick zu verändern.
    »Von dir?«, erwiderte Lis spitz.
    Jetzt erst wandte er den Kopf und sah sie an. Sein Gesicht lag halb im Schatten, was ihm eine geheimnisvolle Aura gab. Der goldene Fleck in seinem rechten Auge leuchtete in einem schrägen Sonnenstrahl. In einem anderen Leben hätte er der Hauptdarsteller in einem Historiendrama sein können oder ein Privatdetektiv, der die Heldin vor einem geplanten Verbrechen warnte. »Von Niams Leuten«, sagte er. »Einer seiner Schüler folgt dir sehr oft, seit Karjan bei den Priestern aufgenommen wurde. Pass auf, was du tust, Lisanja. Sie wissen über deine Wege Bescheid.«
    Tschur!, dachte sie. Klar, das hätte sie sich denken können. Die Nachricht erstaunte sie nicht einmal. Vielleicht wusste Niam gar nicht, dass sein Schüler Privatdetektiv spielte. Das würde zu dem zwielichtigen Novizen passen. Sie konnte sich richtig vorstellen, wie er auf eine Gelegenheit wartete, seine neuesten Erkenntnisse als Trumpf aus dem Ärmel zu holen und sich damit gleich ein paar Stufen in der Tempelhierarchie nach oben zu gaunern. Tschur widerte sie an. Matej hatte Recht – sie musste vorsichtiger sein.
    »Und wenn schon«, sagte sie ohne sich ihre Beunruhigung anmerken zu lassen. »Ich bin Karjans Dienerin. Ich schaue mir die Stadt an, leiste Seherinnendienste und besuche die alte Priesterin. Und sehr oft stehe ich auf der alten Stadtmauer und betrachte das Meer. Und dabei…« – sie machte eine viel sagende Pause und lächelte – »… bin ich ja schließlich nicht die Einzige.«
    Er stieß sich mit einem anmutigen Schwung von der Mauer ab und klopfte sich den Steinstaub vom Ärmel. »Wie du meinst«, sagte er. »Ich wollte nur, dass du es weißt.« Damit drehte er sich ohne einen weiteren Gruß um und verschwand zwischen den Häusern.
     
    Das Fieber hatte Levin in wenigen Tagen hohlwangig und dünn werden lassen. Gemeinsam mit Niam und den anderen Priestern verließ er schon am Morgen das Priesterhaus

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