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Die Rückkehr der Zehnten

Titel: Die Rückkehr der Zehnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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Wahnsinn, der mich nicht schlafen lässt: Dass ich mir wünsche, sie würde wiederkommen, obwohl es mein Todesurteil ist.«
    Lis schluckte. Ein Bild formte sich in ihren Gedanken, eine Landkarte der Intrigen, der Machtspiele und Vernetzungen. Und der breiteste Weg führte direkt in das Priesterhaus. War Niam der Grund, warum Mokosch stets von Wächtern begleitet wurde? Befürchtete er, sie könnte den Kurieren einen Hinweis geben? Musste er sie gut im Auge behalten? Nun, wenn es so war, holten seine Späher bereits Erkundigungen über die Dienerin von Karjan ein, die angeboten hatte, die Träume der Fürstentochter zu deuten. Sollten sie. Wenn sie es recht betrachtete, war es keine schlechte Konstellation. Ein Gast von Niam war schließlich über jeden Verdacht erhaben. Und dass sie als Fremde auf eine wahnsinnige Frau stieß und deren Träume sah, sprach schließlich nur für ihre Qualitäten als Seherin und untermauerte ihre Glaubwürdigkeit.
    Behutsam legte sie eine Hand auf Mokoschs Arm, um die Fürstentochter zu beruhigen.
    In diesem Moment geschah etwas Seltsames, etwas so Unvermutetes, dass Lis vergaß zu atmen. Sie glaubte zu trudeln und das Gleichgewicht zu verlieren. Reflexartig griff sie fester zu. Ihre Fingernägel gruben sich in Mokoschs Unterarm. Das Zimmer verwandelte sich in einen Strudel aus Farben, die vor ihren Augen erblühten, vergingen und zu Asche zerfielen. Ein Eidechsenskelett huschte über den Steinboden. Und mit einem Mal erstanden vor ihren Augen die Schreckensbilder, die Mokosch in der Nacht sah. Ein waberndes, schwarzes Heer zog über das hügelige Küstenland, Pferdehufe stampften auf dem Boden. Krummsäbel wurden über schartige Wetzsteine gezogen. Gegen einen blutigen Himmel hoben sich die Silhouetten der Reiter ab. Ihr Anführer war zierlich und trug ein langes Gewand. Das Gesicht war verhüllt von einem Eisentuch, das Mund und Nase verbarg. Lis erkannte nur die Augen. Es waren Mokoschs Augen, wenn auch die Farbe anders war. Ein transparentes Hellgrau ließ sie raubtierhaft und seelenlos aussehen. Lis begann zu zittern, als die Gestalt ihr den Kopf zuwandte und ihr direkt ins Gesicht blickte. Das Pferd blieb ruckartig stehen. Ein kehliger Kampfgesang erhob sich im Hintergrund und wurde lauter und lauter, bis der Rhythmus mit Lis’ Herzschlag verschmolz. Die zierliche Kriegergestalt blieb jedoch ruhig, starrte unverwandt in das Palastzimmer und machte keine Anstalten, zum Schwert zu greifen. »Die Desetnica wird dich nicht töten«, sagte Lis und ließ Mokoschs Arm los. Sofort huschten die Bilder davon und ließen sie benommen und müde auf dem Steinboden zurück. »Sie will mit dir sprechen. Ja, ihr ist großes Unrecht angetan worden, aber sie wird nicht zurückkehren, um die Stadt zu vernichten.«
    In Mokoschs Augen glänzte Hoffnung auf. »Sie hasst mich nicht?«, fragte sie. »Und die Träume von blutigem Meerwasser und furchtbaren Kriegerfratzen, die Messer, das Feuer der Rache… was ist?«
    Lis presste sich die Hände vor die Augen. Neue Bilder stürmten auf sie ein, umspülten sie und drohten sie hinwegzureißen. Gesichter und Ereignisse wirbelten an ihr vorbei. Ein Bild blieb zitternd vor ihr stehen, bevor es in tausend Tropfen zersprang: Mokosch stand dort mit aufgerissenen Augen, geduckt unter einer riesigen Axt mit runder Schneide, die direkt über ihrem Kopf schwebte. Lis konnte die Gewissheit des Todes in ihren Augen lesen. Das Letzte, was sie erkannte, bevor das Bild zerstob, waren die Hände, die die Axt hielten – es waren schmale, mädchenhafte Hände wie die von Mokosch.
    »Was ist?«, flüsterte Mokosch. »Siehst du, dass ich sterben muss? Siehst du das? O bitte, Lisanja, sag es mir!«
    Ich kann es ihr nicht sagen, dachte Lis. Ich kann nicht, ich bin keine Seherin. Unwillkürlich ertappte sie sich dabei, wie sie betete, das Ganze möge eine Einbildung sein. Ihre Fantasie spielte ihr Streiche, ganz bestimmt. Bald bin ich schon wie Levin, dachte sie. Ihr Mund war plötzlich so trocken, dass sie sich mehrfach räuspern musste, bevor sie mühsam ein paar Worte herausbrachte.
    »Die Eidechse sagt mir, dass das, was wir sehen, nur Möglichkeiten sind. Es kann geschehen, was du siehst. Es wird Blut geben, aber du trägst keine Schuld am Leid, das deiner Schwester angetan wurde. Wenn sie nach Antjana zurückkommt, wird sie eine Vertraute brauchen.«
    Mokosch senkte den Kopf. »Ich bin ihre Vertraute. Ich kenne sie besser, als meine Mutter sie kannte. Jede Nacht begegnete

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